Kommentar, Top-Story: 14.10.2000

Do you Yahoo?

Oder geht Ihnen diese Frage in letzter Zeit eindeutig auf die Nerven? Was halten Sie von Binsenweisheiten wie: Wenn im Herbst die Blätter fallen, dann fallen auch die Kurse? Wenn es um Aktien und um die Börse geht, dann wimmelt es heutzutage nicht nur so von Experten, Analysten und Gurus, sondern dann kommen auch irrationale Momente ins Spiel: besonders heute, an einem Freitag dem 13. im Oktober. Wenn Sie nach einem Blick auf das aktuelle Geschehen glauben, Sie seien schon ausreichend börsengeschädigt, dann erweitert die folgende Betrachtung vielleicht ihre Perspektive um ein winziges Stückchen.

Die Auswirkungen des Aktienmarktes sind vielfältig, kaum einer kann sich Ihnen entziehen. Schon das Mienenspiel von US-Notenbankchef Alan Greenspan bei einer Pressekonferenz kann Auswirkungen haben: Ein säuerlicher Zug um Greenspans Mund, wenn er hört, dass die Eigenheimrate in Alabama um 0,3 Promille nach unten tendiere, und schon reagieren die europäischen Technologie-Märkte nervös — oder so ähnlich.

Ebenso undurchschaubaren Mustern folgt mittlerweile auch die Medienbranche: Kaum korrigiert irgend ein hoch gehandelter CEO die – oft genug ohnehin absurd hohen – Gewinnerwartungen für sein Unternehmen geringfügig nach unten, schon rasseln auch andere Werte aus dieser Branche in den Keller, mit schwer absehbaren Folgen.

Wessen Kurs abstürzt, der muss fürchten, von anderen übernommen zu werden. Dadurch ändert sich im Umkehrschluß das Verhalten der Unternehmensführungen: Sie tun praktisch alles, um ihre Aktienkurse hoch zu halten, also für möglichst hohen »Shareholder Value« zu sorgen. In der Konsequenz heißt das, dass oft nicht mehr die Qualität der Produkte und Dienstleistungen das unternehmerische Handeln bestimmt, sondern das ständige Schielen auf den Kurs.

Man sagt in Pressekonferenzen, was kursstützend oder -treibend wirkt, man stellt Produkte in den Vordergrund, denen irgend jemand ein enormes Wachstumspotenzial prophezeit, man lässt bestehende Geschäftsfelder darben, weil man sich anderswo astronomische Gewinne erhofft. Der Shareholder Value als Fetisch bedroht damit Produkte fast ohne Ansehen ihrer Marktbedeutung, kann sie blitzschnell ins Aus manövrieren.

Da kauft ein Unternehmen einen seiner Zulieferer, nur weil der eben grade an der Börse so günstig zu haben war und die Übernahme vielleicht gute (Wirtschafts-)Presse und gute Kurse bringt. Aber tut das den Produkten gut? Kann ein Unternehmen, das rasend schnell durch Akquisitionen und Übernahmen wächst, überhaupt eine funktionierende Infrastruktur, eine integrierte Produktpalette aufbauen und auch im Sinne seiner Kunden agieren?

Längst sind die Zeiten vorbei, als nur schwache, ohnehin kränkelnde Unternehmen als Übernahmekandidaten gehandelt wurden: Es kann fast jeden treffen, dessen Aktienmehrheit frei gehandelt wird.

Ein weiteres Problem: Oft laufen Übernahmen so ab, dass ein Teil des Kaufpreises in Cash, ein größerer Teil auf der Basis von Aktientausch bezahlt wird und der frühere Boss der geschluckten Firme einer von zahlreichen Vizepräsidenten im neuen Unternehmen wird. Das Ergebnis ist dann ziemlich oft ein inkonsistenter, nicht auf ein gemeinsames Ziel eingeschworener Führungsapparat. Und das wiederum hat Auswirkungen auf die Produktpalette, die dann sehr leicht zersplittert, unübersichtlich wird und deren Einzelteile manchmal sogar untereinander inkompatibel sein können.

In letzer Konsequenz lässt sich die immer weiter um sich greifende Denkweise auf das (un)schöne und bezeichnenderweise amerikanische, geflügelte Wort »You’re only as good as your last quarter« reduzieren. Das mag im Einzelfall gut für die Bilanz des Unternehmens sein, ist aber in den wenigsten Fällen auch wirklich gut für den Kunden. Denn es gibt einfach auch vielversprechende Technologien und Produkte, die sich nicht im Quartalszyklus entwickeln und vermarkten lassen und Kundenbeziehungen, die über Jahre wachsen müssen und dabei keine vierteljährliche Belastungsprobe aushalten.

Gewinnorientierte Unternehmensführung muss nicht zwangsläufig heißen, den Shareholder Value zum K.O.-Kriterium für neue Entwicklungen zu erheben. Firmen, die das tun, berauben sich selbst vieler neuer, innovativer Ideen und Produkte – und damit letztendlich auch neuer Gewinnchancen. Sie werden sehen.