Branche, Top-Story: 09.09.2003

Mit Thomson in die Zukunft

Mit der Übernahme von Grass Valley durch Thomson ist das neue Unternehmen zum Broadcast-Player mit der breitesten Produktpalette geworden. Thomson hat in mehr Bereichen eigene Produkte, als alle anderen Hersteller: Vom Filmabtaster über Kameras, Mischer, Server und Kreuzschienen bis zu Modular-Equipment, wie Wandlern und Konvertern. Wilfried Wüst und Uwe Ritter beantworteten Fragen zum Unternehmen, zum deutschen Standort Weiterstadt, zu Produkten und Trends.

Um ein Bild von Thomson in Weiterstadt zu bekommen: Was sind die wichtigsten Aktivitäten an diesem Standort?

Wilfried Wüst: Weiterstadt ist von der Historie her unser Filmstandort und wird es auch weiterhin bleiben. Darüber hinaus haben wir hier unseren gesamten Vertriebsbereich für Deutschland, Österreich, die Schweiz und Osteuropa. Ebenfalls in Weiterstadt beheimatet ist der Mischerbereich XtenDD. Weiterstadt wird auch in Zukunft als Standort für diese Produktlinie beibehalten. So wurden der neue 1- und 2-M/E-Videomischer KayakDD auch in Weiterstadt entwickelt. Des weiteren haben wir kürzlich den Bereich Customer Support und Systems in Weiterstadt zusammengeführt.

Welche Bereiche wird Thomson in Weiterstadt künftig verstärkt verfolgen?

Wilfried Wüst: Im Bereich Systems werden wir verstärkt und auf breiter Basis Dienstleistungen anbieten. In diesem Feld wollen wir weiter wachsen. Wir sehen einen sehr großen Bedarf im Bereich Consulting, gerade auch im Hinblick auf das Thema Tapeless Facility. Hier gibt es einen wesentlich höheren Beratungsbedarf, der insbesondere in die Bereiche IT und Network-Solutions hineinreicht. Auf diese Entwicklung sind wir vorbereitet und verfolgen weiterhin konsequent diesen Weg.

Welche weiteren Potenziale und Produktkonzepte illustrieren die weiter voran schreitende Medienkonvergenz?

Uwe Ritter: Im gleichen Maße, wie unsere Kunden neue Konzepte und Workflows— auch aus Kostengründen — IT-bezogen im eigenen Haus umsetzen und darstellen wollen, werden auch wir unsere Konzepte insbesondere bei den Produkten und Subsystemen darauf abstimmen. Ein Beispiel für das Zusammenwachsen von Broadcast und IT stellt unser neues Produkt, der intelligente Video Digital Recorder iVDR der M-Serie dar.
Bei größeren Broadcast/IT-Projekten sind Management- und Monitoring-Systeme zur Überwachung der Einzelkomponenten in steigendem Maße erforderlich. Die im IT-Bereich bereits seit längerem verwendeten SNMP-basierten Überwachungsverfahren halten jetzt auch im Broadcast-Bereich Einzug.
Die treibende Kraft hierbei ist »Total Cost of Ownership«. Für uns stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage: Wie versetzen wir den Kunden in die Lage, dass er den Betrieb und die Wartung seiner immer stärker vernetzten und computer-basierten Systeme und Applikationen kostengünstig halten kann. Hier kommt die Idee zum Tragen, die wir in unserem Net-Central-Produkt realisiert haben, nämlich Vernetzung, Überwachung/ Monitoring und Bereitstellung der lokalen Daten aller relevanten Systemkomponenten auf einem intuitiven, grafischen Display darzustellen.

Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der Consulting-Bereich?

Uwe Ritter: Ein größeres Projekt im Ausland, das wir derzeit abwickeln, hat zunächst mit einem Consulting-Auftrag begonnen. Am Anfang stand eine Workflow-Analyse der bestehenden Systeme, daraufhin haben wir die Tapeless Facility zusammen mit dem Kunden geplant. Es geht darum, zunächst den Ist-Zustand zu analysieren und dann die neuen Arbeitsabläufe und Prozesse darzustellen, die sich durch den Einsatz von IT-Technologien von den bisherigen Abläufen wesentlich unterscheiden. In England sind wir derzeit mit Consulting-Aufträgen in mehreren Projekten aktiv. Auch in Deutschland haben wir erst kürzlich einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen. Der Bereich Broadcast-Consulting ist aus unserer Sicht ein Wachstumssektor.

Wie weit ist Tapeless Production bei den deutschen Broadcastern Realität? Wie erklärt sich die Zurückhaltung, die man in vielen Gesprächen spürt?

Wilfried Wüst: Das ist ein Thema der Investitionssicherheit und der Investitionsintervalle. In die Digitaltechnik ist Deutschland sehr schnell eingestiegen, während andere Länder, etwa die USA und große Teile von Asien, hier auf der Analogtechnik geblieben sind. Auf Grund anderer Investitionszyklen haben diese Länder teilweise den 601-Schritt übersprungen und investieren jetzt in IT-Technik, in Server- und Netzwerk-Lösungen. In Deutschland setzt diese Entwicklung nun ebenfalls ein und hat mittlerweile eine wesentlich größere Bedeutung. Thomson führt beispielsweise mehrere Projekte in diesem Bereich in Deutschland durch. Grundsätzlich haben wir hier allerdings eine Verzögerung von 12 bis 15 Monaten gegenüber anderen Märkten. Der Hauptgrund hierfür sind aus meiner Sicht die unterschiedlichen Investitionsintervalle.
Die Systems-Gruppe von Thomson beschäftigt sich sehr intensiv mit dem Thema IT in Verbindung mit existierenden Broadcast-Strukturen. So sind wir beispielsweise maßgeblich am EU geförderten Projekt Nuggets (Anmerkung: Networks used in Globally Generic Television Systems; www.ist-nuggets.tv) beteiligt, bei dem es um die netzwerkbasierende Produktion geht.

Uwe Ritter: Im Mittelpunkt dieses Projekts steht die Realtime-Vernetzung von verteilten Produktionsstätten über Weitverkehrsnetze, basierend auf dem MXF-Standard, der ja zur Zeit in aller Munde ist. Wir werden dieses Projekt auch im Rahmen des ProMPEG-Forums auf der IBC2003 vorstellen. Die Grundidee des Projekts ist sehr einfach: Live-Kameras sollen sich überall auf der Welt an öffentliche Netze anschließen lassen und so mit entfernten Produktionsstandorten verbunden werden. Die »Quality of Service« muss entsprechend skalierbar sein. Zudem ist die Möglichkeit vorgesehen, Kontrollinformationen wie Video/Audio-Steuerung zur Kamera zurück zu führen.
Anwender ist im Rahmen dieses Projekts ein öffentlich-rechtlicher Broadcaster aus Deutschland, Thomson fungiert als Koordinator für das Gesamtprojekt. Die Systemspezifikationen wurden von der Systemgruppe in Weiterstadt entwickelt, und zwar speziell im Hinblick auf die Workflows in dieser verteilten Realtime-Live-Streaming-Applikation.

Wie ist der Status Quo im deutschen Broadcast-Markt?

Uwe Ritter: Heutzutage beschäftigt sich bei der Erneuerung oder Erweiterung einer Facility niemand mehr mit dem Thema Band. Hier geht es überall ganz klar in Richtung server-basierend und tapeless. In Deutschland gibt es etliche kleinere und auch größere Projekte, die sich mit server-basierten, bandlosen Konzepten beschäftigen.

Die Konvergenz von Broadcast- und IT-Welt wird schon einige Zeit diskutiert. Was war denn der Knackpunkt daran, weshalb hat es so lang gedauert, bis wirklich größere integrierte Systeme möglich wurden?

Uwe Ritter: Aus meiner Sicht war letztlich die Datenrate der Knackpunkt. Wenn man den Au-diobereich betrachtet, so wird dort schon seit vielen Jahren IT-Technologie auf breiter Basis eingesetzt. Die wesentlich höhere Datenrate im Videobereich hat dazu geführt, dass es hier einige Zeit gedauert hat, bis die Entwicklung in Richtung IT-Technik auch hier begonnen hat. Jetzt werden sukzessive immer mehr IT-basierendeApplikationen bis hin zur Tapeless Facility eingesetzt, ein Bereich, in welchem Deutschland jedoch nicht führend ist. Außerhalb Deutschlands gibt es dagegen eine immer schneller wachsende Anzahl von Facilities, die von Band auf Server-Netzwerk-Strukturen umgestiegen sind und entsprechend gemanagt werden. Thomson arbeitet zum Beispiel zur Zeit im Rahmen eines Projektes an der Erstellung eines Content Management Systems für eine Tapeless Facility.

Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht HD in Europa und speziell in Deutschland?

Wilfried Wüst: Wir haben uns als Unternehmen sowohl unter der Philips-, wie auch unter der Thomson-Flagge europaweit sehr stark mit dem Thema HD beschäftigt. Thomson ist heute der führende Hersteller in Europa, was HD-Equipment anbelangt. Dieses umfasst Kameras, Mischer, Router, Server und Peripherals. Diese Produkte können wir alle aus einer Hand anbieten und haben bereits auch HD-Projekte, wie Ü-Wagen und HD-Produktionsstudios, etwa für Alfacam in Belgien und Visions in England realisiert. Wir sehen, dass auch in Deutschland das Interesse an HD wächst. Immer öfter hören wir von öffentlich-rechtlichen wie auch von privaten Broadcastern: »unser nächstes Studio, unser nächster Ü-Wagen wird HD«.
Deutschland hinkt beim Thema HD im Vergleich zu England und anderen Ländern um 12 bis 14 Monate hinterher. Allerdings denke ich, dass das Thema HD auch hier eine immer stärkere Rolle spielen wird. Attraktive Preise und Investitionsmodelle werden dafür sorgen, dass auch in Deutschland im Produktionsbereich verstärkt in HD investiert wird. Unsere Kamera LDK 5000 ist ein Beispiel dafür: Sie arbeitet heute in SD, aber der Kunde kann jederzeit ein Upgrade-Kit kaufen und die LDK 5000 als HD-Kamera einsetzen. Somit können Kunden heute kostengünstig in SD-Equipment investieren, welches sie jederzeit, wenn sie bereit dazu sind, auf HD upgraden können

Uwe Ritter: In den USA gibt es bereits eine Anzahl von HD-Kanälen, die kontinuierlich wächst. »Euro 1080«, der erste HD-Kanal in Europa, der bereits Pilot-Sendungen, wie Fußballspiel-Übertragungen in ausgewählten Kinos gezeigt hat, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass es auch in Europa in Richtung HD geht.

Stehen sich der Trend zu HD und der Trend zu IT nicht auch teilweise im Weg? Sie hatten ja vorher angesprochen, dass der Knackpunkt für die Konvergenz von Broadcast und IT letztlich in der hohen Datenrate von Videosignalen liegt. Geht man nun auf HD über, multipliziert sich doch dieses Problem wieder.

Wilfried Wüst: Ich denke die Server-Technologien sind heute schon auf dem Weg, HD-Anforderungen abzubilden. Sicher gibt es hier im einen oder anderen Bereich noch Limitierungen, aber ich würde nicht sagen, dass es hier einen Blocking-Faktor gibt.

Mit Blick auf Großereignisse, wie die Fußball-WM in Deutschland, stellt sich die Frage, bis wann wir denn in Deutschland mit einer größeren Zahl von HD-Produktionsstätten und mit HD-Broadcast-Produktionen rechnen können.

Wilfried Wüst: Wir sehen durchaus die Möglichkeit, dass die Fußball-WM im Jahr 2006 hier eine Art Initialzündung darstellen könnte, vielleicht sogar in der Ausstrahlung von HD-Sendungen. Eine wichtige Rolle wird hierbei die Endgeräte-Industrie spielen. In der Produktion wirkt sich die WM natürlich in erster Linie im Bereich Ü-Wagen aus und hier spürt man jetzt schon eine wachsende Nachfrage.

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