Branche: 10.04.2008

ProSiebenSat.1: IT-Bereich an IBM verkauft, Jobabbau geplant

Schon seit Mitte 2007 ist klar, dass ProSiebenSat.1 (P7S1) seinen Technikbereich verkaufen oder zumindest umstrukturieren will. Nachdem verschiedene »große Lösungen« nicht zum Tragen kamen, wird nun der IT-Bereich ausgegliedert und für über 200 Millionen Euro an IBM verkauft.

Der ursprüngliche Plan, die komplette Techniksparte von ProSiebenSat.1, die P7S1 Produktion, zu verkaufen, ließ sich offenbar nicht realisieren. Vor kurzem hatten Insider noch durchsickern lassen, dass ein Verbund aus IBM und Red Bee, der ausgegliederten Produktionstochter der BBC, als Favorit unter den Kaufinteressenten für die rund 1.000 Mitarbeiter starke P7S1 Produktion gelte, zu der auch Außen-, Studio- und Postproduktion sowie Sendeabwicklung zählen (siehe Meldung). Das Ziel früherer Pläne soll der Verkauf des gesamten Bereichs für 250 Millionen Euro gewesen sein.

Nun kommt also eine etwas kleinere, andere Lösung: IBM und ProSiebenSat.1 haben nach Firmenangaben einen Outsourcing-Vertrag mit einer Laufzeit von zehn Jahren und einem Volumen von über 200 Millionen Euro unterzeichnet. IBM wird auf der Basis dieses Vertrags alle IT-Business-Applikationen, sowie die IT- und Mediensysteme der P7S1 Produktion übernehmen und ausbauen. Bestandteil des Vertrags ist auch, dass im ersten Quartal 2009 rund 170 Mitarbeiter von der P7S1 Produktion zu IBM wechseln sollen.

200 Millionen statt der ursprünglichen beabsichtigten 250 Millionen bedeuten zwar einen Abschlag von 20 % klingen aber immer noch stattlich, zumal die Formulierungen in der Pressemitteilung der Unternehmen so gewählt sind, dass der Eindruck entsteht, der Deal umfasse nur einen Teil der P7S1 Produktion — was wohl auch so ist. Allerdings ist der Outsourcing-Vertrag nach Firmenangaben auf eine 10jährige Laufzeit ausgelegt und es sind keine weiteren Details bekannt — letztlich bleibt also vorerst unklar, wieviel IBM nun wofür bezahlt.

Für IBM ist der Deal mit ProSiebenSat.1 keineswegs der erste Schritt des Unternehmens, sich verstärkt als Partner von TV-Anbietern zu positionieren: So kann IBM etwa in Europa eine strategische Allianz mit der BBC in Großbritannien vorweisen, die das Ziel hat »modernes IT-Knowhow umfassend für das Management und die Verwaltung von digitalen Bild-, Audio- und Videodaten einzusetzen«.

Schon im Februar hatte die ProSiebenSat.1-Tochter N24 mit IBM und NorCom einen Vertrag zum Aufbau eines neuen Redaktionssystems für den Nachrichtensender geschlossen. IBM und NorCom wollen das neue System bis Ende 2008 realisieren und in Betrieb nehmen. Dieser Auftrag hat nach Firmenangaben ein Volumen in Höhe eines einstelligen Millionenbetrages.

N24 zieht Ende 2008 an den Standort Potsdamer Platz in Berlin um und will dort dann das neue Redaktionssystem und ein neues Studio nutzen.

Gleichzeitig berichten verschiedene Medien, dass ProSiebenSat.1 den Abbau von mindestens 100 Stellen bei der P7S1 Produktion an den Standorten Berlin und Unterföhring plane, auch mit dem Mittel der betriebsbedingten Kündigung. Betroffen seien je ungefähr hälftig N24 in Berlin und das P7S1 Playout Center in München.

N24 als Probelauf

Viele Branchenbeobachter sehen die Entwicklung bei N24 als Pilotprojekt für den privaten Fernsehkonzern insgesamt. Deshalb lohnt sich ein Blick auf die Ziele der dortigen Pläne besonders.

Frank Meißner, Geschäftsführer Produktion und Technik bei N24 sagt: »Vor allem die Integrationsfähigkeit des neuen Redaktionssystems ist uns wichtig. Die bestehenden Komponenten unserer Redaktionslandschaft sollen einfach und schnell eingebunden werden. IBM und NorCom liefern uns ein System, das uns durch passgenaue Prozessunterstützung, eine offene Architektur und flexible Adaptertechnologie von Anfang an überzeugt hat.«

Weitere Vorteile des Systems sind aus Unternehmenssicht »die nahtlose Integration von Fernsehinhalten in die Website von N24 auf Knopfdruck«, kürzere Produktionszeiten und die Möglichkeit, das neue System medien- und redaktionsübergreifend auch bei der Produktion von Angeboten für IP-TV und Handy-Fernsehen einsetzen zu können.

»Gemeinsam mit NorCom arbeiten wir in Berlin für N24 an einem der innovativsten News-Center der Welt«, sagt Dr. Niko Marcel Waesche, Partner der Consulting-Abteilung von IBM. »Geschwindigkeit und Effizienz sind entscheidende Erfolgsfaktoren für jeden Nachrichtensender. Auch die einmalige Produktion und mehrfache Verwertung von Inhalten für verschiedene Medienkanäle wird für alle Informationsanbieter immer wichtiger. Der Einsatz leistungsfähiger Produktionssysteme wird künftig für alle Anbieter zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil.«

Mit IBM europaweite Strukturen schaffen

Das Outsourcing von Teilen der P7S1 Produktion an IBM dürfte im Konzernrahmen letztlich eine ganz ähnliche Zielrichtung haben, wie der Umbau bei N24. Ziel des Konzerns ist es laut einer Unternehmensmitteilung, eine komplett digitale, bandlose technologische Infrastruktur zu errichten, die die europaweite Verwertung von TV-Inhalten auf allen Verbreitungswegen ermöglicht. Deshalb ist das, was zunächst nur wie die Auslagerung der IT-Abteilung von P7S1 klingt, in Wahrheit ein massiver Paradigmenwechsel. Die P7S1 Produktion ist damit keineswegs — wie man zunächst glauben könnte — einigermaßen glimpflich davon gekommen, sondern sie wird in den kommenden Jahren in weiten Teilen von der ausgelagerten Abteilung obsolet gemacht werden.

Gleichzeitig will die Sendergruppe nämlich ein neues Playout-Center in München aufbauen. Alle TV-Kanäle des Unternehmens sollen künftig über die zentralen europaweiten Playout-Center in München und London-Chiswick ausgestrahlt werden. Durch die Kooperation mit IBM und die Effizienzsteigerung durch eine vollständig digitale Plattform erwartet die Gruppe Einsparungen von rund 50 Millionen Euro in den kommenden zehn Jahren.

IBM verpflichtet sich nach Angaben der beteiligten Unternehmen in dem Vertrag dazu, im Laufe der nächsten Jahre ein »Broadcast Integration Center« zu etablieren und die Standardisierung von Prozessen und Geschäftsanwendungen für Medienunternehmen vorantreiben. Das bedeutet, dass IBM mittelfristig die klassische Sendeabwicklung ebenso übernehmen wird, wie die Programme und Infrastrukturen für Werbezeitenvermarktung, Programmplanung und das Rechtemanagement. Geplant ist es nach Unternehmensangaben auch, diese Aspekte über alle Distributionskanäle zu integrieren und zu verzahnen. Die Vielzahl eigenentwickelter Anwendungen, die hier momentan genutzt werden, soll reduziert und auf einheitliche, offene Standards transformiert werden, um »die Integration internationaler Partner zu erleichtern«. Weiter heißt es: »Ziel der Transformation ist, das Unternehmen im europäischen Medien- und Unterhaltungsmarkt schneller und flexibler zu machen — und dies bei gleichzeitiger Kostensenkung.«

»Eine innovative Technologie, die uns die Verwertung unserer Inhalte in allen Medien und in allen Ländern erlaubt, ist für unsere Strategie entscheidend. Mit IBM haben wir einen Weltklasse-Partner für unsere neue Plattform und unsere Mitarbeiter. So schaffen wir die Basis für zukünftiges Wachstum und reduzieren gleichzeitig unsere IT-Kosten«, erläutert Guillaume de Posch, der Vorstandsvorsitzender von ProSiebenSat.1 seine Sicht der Dinge.

IBM übernimmt mit dem Outsourcing-Deal die Verantwortung für die Planung, den technischen Support sowie für die Bereitstellung der Anwendungen, Internet-Technologien und IT-Infrastrukturen für die Kanäle Sat.1, ProSieben, Kabel Eins und N24.

Autor
red

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Medientage, ProSiebenSat.1, Nonkonform

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