Kommentar, Top-Story: 10.02.2002

Tolle Tage?

Große Teile Deutschlands versinken derzeit im Faschingstaumel. Die eine Hälfte der Jecken schneidet der anderen die Krawatten ab. Begleitet von Helau-, Alaaf-, Wuppdika-, Hoorig- und anderen Rufen, schickt man sich an zu tun, was man im Karneval, Fasching oder zur Fasnet so tut.

Wer nicht mitmachen will, muss flüchten: in die Arbeit, weit weg in die Sonne, zum Skifahren, oder in die eigene Wohnung. Die organisierte Fröhlichkeit holt den, der ihr entfliehen will, freilich spätestens dann wieder ein, wenn er in diesen Tagen gedankenlos eine Firma in Köln anrufen will oder wenn sich beim abendlichen Zappen im TV-Programm Prunksitzung an Prunksitzung reiht.

Eine willkommene Abwechslung im Fernsehprogramm ist für alle Faschingsmuffel deshalb die Übertragung anderer Groß-Events, die man aber je nach persönlicher Einstellung als mindestens ebenso bizarr empfinden kann: Das können einzelne Wettbewerbe der Olympischen Winterspiele sein, aber auch der Opernball, der am Donnerstag in Wien stattfand. Das Ganze wurde vom Bayerischen Rundfunk zunächst mit Geschichten und Berichten rund um den Opernball und anschließend mit einer Live-Übertragung aus der Wiener Staatsoper gewürdigt. Dabei eröffnete sich ein Universum, dass den Unkundigen auf vielerlei Weise überraschen kann, nicht zuletzt durch die Art der Übertragung.

Zunächst ein paar erklärende Worte von der Website der Wiener Staatsoper: »Einen der Höhepunkte beim jährlichen Wiener Opernball stellt der feierliche Einzug und die Tanzdarbietungen des Jungdamen- und Jungherrenkomitees dar. Voraussetzung für die Teilnahme sind gute Linkswalzer-Kenntnisse.« Aha: Grammatikkenntnisse sind also nicht erforderlich, es geht vorrangig um den Linkswalzer. Damit erklärt sich, weshalb der BR-Reporter im Lauf der Reportage nacheinander etwa zehn Debütantinnen dieselbe Frage stellt: »Und wie hat die Linksdrehung bei Ihnen geklappt?«

Die Antworten blieben in den meisten Fällen ein Geheimnis, denn leider versäumte es der Reporter recht häufig, die Damen ins Mikro sprechen zu lassen. Das war jedoch nicht weiter schlimm, denn schließlich sagte so manche so Wichtiges wie etwa, dass sie schon beim Münchner Chrysanthemenball getanzt hätte und alles ganz toll sei. Unüberhörbar blieben dagegen die Avancen, die der Reporter einer besonders hübschen Debütantin machte, als er sie bat, ihn doch gegen 12:00 Uhr nach der Übertragung am Treppenaufgang zu treffen und ihm einen Tanz zu schenken.

Vielleicht lag das alles am Duft der Rosen, den der Reporter wieder und wieder als unbeschreiblich bezeichnete, so unbeschreiblich, dass er gar keine anderen Worte mehr fand. Trotz allem: Wer nach vielen Jahren Fernseharbeit noch immer kein Mikro halten kann, der sollte es vielleicht einfach bleiben lassen.

Die Welt ist ungerecht: Da sitzen im Ü-Wagen und im weiteren Verlauf der Übertragungskette Leute, die unter höchstem Stress mit komplizierter Technik hantieren und alles daran setzen, eine technisch perfekte, qualitativ hochwertige Übertragung zu realisieren. Und dann das. Vielleicht nur eine Folge der tollen Tage?

Sie werden sehen.