Kommentar, Top-Story: 24.04.2002

Kirch bewegt die Gemüter

Wer sich ein konkretes Bild von Leo Kirchs Medienimperium machen möchte, dem empfiehlt die Redaktion zwei Besichtigungstermine, die nur wenige Minuten auseinander liegen, die allerdings nicht ohne weiteres zu realisieren sind: Besuchen Sie das Hochregal-Filmlager und das Premiere-Playout-Center in Unterföhring.

Das Filmlager: Filmdosen mit wertvollen Originalen liegen hier bis unter die Decke in einem riesigen, gekühlten Lagerhaus, wohl sortiert, gehegt und gepflegt. Das Playout-Center: Kühle Technik mit endlosen Geräteracks, Rechnern und Tape-Robotern einerseits, darunter ein Stockwerk mit James-Bond-Master-Control-Room-Atmosphäre pur, voller dezent beleuchteter Design-Computer-Arbeitsplätze, vor denen sich riesige halbkugelige Monitorwände mit Hunderten von Bildschirmen spannen.

Beides führt eindrücklich und klarer als alle Zahlen vor Augen, welche Dimensionen die KirchGruppe erreicht hat. Spätestens hier wird klar: Zieht man vom Medienstandort München alles ab, was direkt oder indirekt an der KirchGruppe hängt, dann heißt es hier im Medienbereich nicht mehr »München leuchtet«, sondern leider nur noch »München glimmt«. Aber es geht um weit mehr als ein regionales Thema: Ohne dieses Imperium fiele ein Gutteil dessen weg, was die bundesdeutsche Medienszene ausmacht.

So war es denn auch nicht weiter verwunderlich, dass während der NAB an nahezu jedem Stand auch über die Zukunft der KirchGruppe und die Folgen der aktuellen Ereignisse für die Branche diskutiert wurde. Angst oder zumindest Bedenken haben letztlich alle: Feste und freie Mitarbeiter, Equipment-Hersteller, Zulieferer und Dienstleister, Verleiher und Händler, teilweise sogar die Kirch-Konkurrenten. Die Ängste und Sorgen der Betroffenen sind jedoch sehr vielschichtig:

Für die vielen festen und freien Mitarbeiter stehen Job oder Aufträge auf dem Spiel. Was das für den Einzelnen bedeuten kann, lässt sich leicht nachvollziehen und bedarf sicher keiner weiteren Allgemeinplätze zu diesem Thema.

Für die Equipment-Hersteller, Zulieferer und Dienstleister, Verleiher und Händler waren die KirchGruppe und ihr Umfeld jahrelange Garanten für volle Auftragsbücher. Kunden, deren immer neue Projekte immer noch mehr an Equipment erforderten. Kunden, die für Umsatz sorgten. Fielen diese Kunden nun in der derzeit ohnehin nicht gerade boomenden Medienwirtschaft auch noch aus, dann fehlten dringend notwendige Umsätze. Etliche Hersteller und Händler fürchten zudem, dass im schlimmsten Fall ein Flut von gebrauchtem Equipment auf den Markt kommen könnte, was die Preise verderben und die Neuverkäufe reduzieren würde.

An der KirchGruppe hängt aber weit mehr, als man zunächst denkt: So sollen etwa einige Druckereien, Agenturen und auch Kurierdienste, die bisher viel für die KirchGruppe arbeiteten, schon in finanzielle Probleme geraten sein. Und es gibt weitere indirekte Wirkungen: Wer selbst noch offene Rechnungen bei der KirchGruppe hat, oder mit massivem Auftragsrückgang rechnet, der wartet auch gern etwas länger, bis er die eigenen Außenstände begleicht. Von neuen Investitionen ist meist gar keine Rede mehr. Dumping um im Geschäft zu bleiben? Eine weitere Preiskampfrunde etwa bei den Ü-Wagen-Dienstleistern könnte ebenfalls schwere Folgen haben.

Vor diesem Hintergrund hofft deshalb fast die ganze Branche auf eine rasche Lösung, bei der nicht nur die Banken möglichst gut abschneiden. Sollte das, was allgemein als »profitables Kerngeschäft« der KirchGruppe beschrieben wird, nicht erhalten bleiben und möglichst schnell wieder auf die Beine kommen, dann wird sich die KirchGruppe als »KirchGrippe« erweisen, die noch viele andere ansteckt.

Die Chancen, dass dieses Wissen mittlerweile über die Flure der Macht und des Geldes bis in die Zimmer der Entscheider und Weichensteller durchgedrungen ist, stehen glücklicherweise gar nicht schlecht. So bleibt die Hoffnung, dass sich die dunklen Schatten bis zur zweiten Jahreshälfte wieder verziehen oder zumindest etwas aufhellen. Sie werden sehen.