Branche, Top-Story: 14.09.2003

Diskrete Entwicklung

Smoke gibt es ab der zur IBC2003 vorgestellten Version 6 auch für Linux-Rechner. Mit Lustre bietet Discreet im Unternehmensbereich »Systems« nicht nur einen neuen Produkttypus an und verbreitert damit seine Basis, sondern hat auch erstmals eine windows-basierte Lösung im High-End-Portfolio. Das wirft Fragen auf: zu Lustre, zur zukünftigen Software-Architektur Toxic und zu Discreets Plattform-Strategie im High-End-Markt. Maurice Patel von Discreet hat Antworten.

Irix, Windows, Linux: Wie lautet Discreets Plattformstrategie?

Maurice Patel: Unsere Plattformstrategie ist vollkommen offen, wir unterstützen also das, was notwendig ist, unabhängig vom Hersteller. Letztlich geht es um die Leistungsfähigkeit der Plattform, und wenn diese gegeben ist, entwickeln wir dafür.
Das gilt auch für das Systems-Business, wo wir uns ebenfalls immer die Frage stellen: »Welche Plattform bietet die Leistungsfähigkeit, die wir benötigen?«. Und für diese Plattform entwickeln wir unsere Systeme. Das ist letztlich unsere Plattformstrategie: Jede Plattform hat ihre Vor- und Nachteile, deshalb bieten wir Systeme auf unterschiedlichen Plattformen an.
Lustre beispielsweise läuft auf der Windows-Plattform. Unsere Entwicklungsabteilung hat auch sehr lange daran gearbeitet, Lustre für die Linux-Plattform verfügbar zu machen, aber derzeit ist der Linux-Kernel noch nicht in der Lage, 2K in Echtzeit zu verarbeiten. Wir werden aber weiter an diesem Thema dran bleiben und evaluieren, ob wir Lustre und auch andere Systeme für Linux verfügbar machen können. Aus unserer Sicht ist Linux derzeit aber nur für ein SD-System wie etwa Smoke SD geeignet.
Wir zeigen zur IBC2003 erstmals Smoke on Linux! Das System wird also künftig für Linux wie auch für Irix verfügbar sein. Darauf sind wir sehr stolz.

Wie wirkt sich das auf die Toxic-Entwicklung aus?

Maurice Patel: Unser Toxic-Projekt verfolgen wir nach wie vor auf der Windows/Intel-Plattform, aber Toxic ist auch für andere Plattformen denkbar.Während der IBC2003 werden wir nichts in Bezug auf Toxic am Stand zeigen, bis zur kommenden NAB kann ich darüber auch nichts sagen.

Die SGI-basierenden Produkte werden also nach wie vor das High-End in Discreets Portfolio bleiben?

Maurice Patel: Ja, denn SGI konnte mit seinen neuen Workstations erneut an Leistung zulegen, wir gehen deshalb davon aus, dass zumindest in den kommenden zwei Jahren keine PC-basierende Lösung diese Leistung erbringen kann.

Sind 4K und sogar 8K-Auflösung mit der Vorstellung der SGI-Tezro-Workstations wieder ein Thema?

Maurice Patel: Lustre und andere unserer Systeme arbeiten auflösungsunabhängig, es ist also prinzipiell heute schon möglich, mit 4K oder 8K zu arbeiten. Aber heute können wir nur mit 2K bei Lustre Echtzeitfunktionalität realisieren. Arbeitet man mit höheren Auflösungen, nutzt das System ein 2K-Proxy, die höheren Auflösungen lassen sich derzeit nicht in Echtzeit verarbeiten.
Die neuen SGI-Workstations sind sehr leistungsfähig, die Tezro-Work-station zum Beispiel bietet bis zu vier Prozessoren. Der für uns wichtigste, große Unterschied zwischen der Tezro-Workstation und anderen Desktop-Computern ist aber der PCI-Bus, denn Tezro verfügt über vier PCI-X-Busse.
Im Vergleich dazu gibt es bei normalen PCs, gleichgültig ob Intel oder Macintosh G5, immer Probleme mit der I/O-Bandbreite, die in der Regel auf eine, maximal aber auf zwei PCI-Busse limitiert ist. In der Postproduktionsumgebung ist das ein begrenzender Faktor, und das ist gleichzeitig der große Vorteil der SGI-Tezro-Systeme. Sie sind dadurch in der Lage, zwei HD-Ströme in Echtzeit mit 10-Bit-Component und 4:4:4-Sampling RGB im Gegensatz zu 4:2:2-YUV zu verarbeiten.
Zur IBC stellen wir mit Smoke 6 und Fire 6 neue Software-Versionen unserer Systeme vor, die diese Leistungsfähigkeit der Tezro-Systeme tatsächlich schon ausnutzen können. Mit den neuen Versionen und Systemen wollen wir schon zur kommenden NAB2004 Dual-Stream-HD mit 10 Bit realisieren, bis dahin sollen solche Systeme verfügbar sein.
Das ist ein absolutes Novum für eine Plattform, die nicht proprietär ist. Damit sind auch 4K-Applikationen mit High-End-Standard-Computern in greifbare Nähe gerückt.
Was wir schon während der IBC2003 in Amsterdam zeigen, ist der 12-Bit-Media-Support der Tezro-Systeme, was etwas bessere Qualität ermöglicht, als sie 10-Bit-Systeme bieten. Wir können das in Echtzeit realisieren.

Warum hat sich Discreet dazu entschlossen, ein separates Color-Grading-System ins Portfolio auf zu nehmen? Wäre es keine Alternative gewesen, diese Funktionalität in die bestehende Produkte der Systems-Linie zu integrieren?

Maurice Patel: Unsere bestehenden Produkte bieten umfassende Color-Correction–Funktionalität. Unter anderem wird die Color-Warp-Technologie nun auch in der neuen Version 6 von Fire und Smoke verfügbar sein, die wir in Amsterdam vorstellen. Das zeigt, dass wir weiter in die Color-Correction-Technologie unserer bestehenden Systeme investieren.
Vor etwa zwei Jahren haben wir aber begonnen, uns auch intensiver mit dem Color-Grading–Markt zu beschäftigen, speziell im Hinblick auf die Entwicklung eines digitalen Stand-Alone-Systems für Color Grading.
Im Gespräch mit Kunden haben wir dann festgestellt, dass unsere Kunden ein separates System für Color Grading einer All-In-One-Lösung vorziehen. Sie wollen ein spezielles Interface haben und obwohl Systeme wie etwa Inferno schon umfassende Color-Correction-Funktionalität bieten, gaben die Kunden der Idee eines Stand-Alone-Color-Grading-Systems den Vorzug. Also haben wir entsprechend reagiert und fürs Color Grading ein separates Stand-Alone-System entwickelt.
Um die Motivation der Kunden etwas zu erläutern: Editor, Colorist und Visual Effects arbeiten etwas unterschiedlich — sie haben alle unterschiedliche Prioritäten. Obwohl man natürlich eine Applikation entwickeln könnte, die die Bedürfnisse aller befriedigt, ist es doch effizienter, dedizierte Systeme zu haben.

Was macht aus Ihrer, aus der Herstellersicht, den Unterschied eines Stand-Alone-Systems im Vergleich zu einer Grading-Option für ein Editing- oder Compositing-System aus?

Maurice Patel: Die Entscheidung für ein Stand-Alone-System ermöglicht es schlichtweg, eine sehr effektive Applikation zu entwickeln, die auf die jeweilige Anforderung optimiert ist. Manche Anforderungen eines Coloristen sind eben sehr speziell und der Colorist benötigt ganz besondere Werkzeuge, um bestimmte Aufgaben überhaupt realisieren zu können. Solche Tools benötigt etwa ein Editor oder ein Visual Effects Editor nicht.
Wie schon gesagt: Natürlich wäre es möglich, diese Tools auch in Flame oder Inferno zu integrieren, aber die meisten Flame- oder Inferno-User würden damit gar nichts anfangen, sie hätten keine Verwendung dafür. Trotz allem verfügen diese Produkte über sehr gute Color-Correction- und auch Color-Grading-Tools, aber die ganz speziellen Tools für den Coloristen finden sich eben nur in unserem Stand-Alone-Grading-System Lustre.

Wie kam die Zusammenarbeit mit Colorfront zustande?

Maurice Patel: Als klar war, dass wir eine Stand-Alone-Lösung fürs Grading entwickeln würden, stellten wir die Frage, ob wir das allein oder gemeinsam mit einem Partner tun sollten. Diese Frage stellen wir uns prinzipiell vor jeder neuen Entwicklung. In diesem Fall waren wir allerdings nicht die ersten, die an einer solchen digitalen Color-Grading-Lösung arbeiteten und so bot sich eine Partnerschaft mit Colorfront an.
Mit Colorfront hatten wir schon früher Kontakt, und deren Lösung war für uns sehr interessant. Wir stellten auch sehr schnell fest, dass es viele Synergien zwischen unseren Unternehmen gab, etwa bei der Art und Weise, wie wir ein Produkt entwickeln und wie wir die Marktsituation einschätzen.
Es zeigte sich, dass Colorfront über eine sehr gute Entwicklung verfügte, aber nicht die nötigen Backend-Prozesse bieten konnte, die jemand wie Discreet hat: Vertriebskanäle, Support, gute Partnerschaften mit Hardware-Herstellern und mehr. In all diesen Bereichen konnte Colorfront von uns profitieren.
Kurzum: Es gab wirklich sehr viel Potenzial für Synergien, und wir hatten auch eine ähnliche Philosophie: Discreet hat immer schon High-End-Software entwickelt, die auf Systemen ohne proprietäre Hardware lief und Colorfront hat einen ähnlichen Ansatz, indem Sie Echtzeit-Software entwickelten, die auf Standard-Plattformen läuft.

Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile eines software-basierenden Color-Grading-Systems im Vergleich zu einem hardware-basierenden System?

Maurice Patel: Ein software-basierendes System ist sehr flexibel in Bezug auf Workflows und ermöglicht es außerdem, bestimmte Funktionen sehr schnell zu realisieren. Bei Hardware-Stand-Alone-Systemen hat man den Nachteil, dass man nicht nur die neuen Algorithmen entwickeln muss wie bei der Software, sondern eben auch noch die Hardware dazu. Deshalb sind die Entwicklungszyklen bei Hardware-Systemen auch länger. Bei Software-Systemen hat man außerdem den Vorteil, dass die Feature-Sets umfangreicher sein können.
Eine ganz ähnliche Entwicklung hat Discreet übrigens auch bei seinen Visual-Effects-Systemen hinter sich. In den Anfängen von Discreet wurden Visual Effects vornehmlich mit hardware-basierten Systemen realisiert. Flame war dann das erste software-basierende System.
Natürlich gibt es heute in Postproduktionsstudios immer noch lineare, bandbasierende Suiten, weil sie bestimmte Funktionen bieten können, unter anderem Echtzeitfunktionalität. Aber wenn es um komplexere Aufgaben geht, fehlen diesen Suiten bestimmte Fähigkeiten. Das ist der Punkt, an dem die Kunden Smoke- oder Flame-Systeme nutzen, die solche Aufgaben per Software lösen.
Wir glauben nicht, dass Telecine-Systeme und hardware-basierende Color-Grading-Systeme verschwinden werden. Aber je mehr wir uns im digitalen Umfeld bewegen, desto eher werden software-basierende Systeme eingesetzt, denn sie ermöglichen einen höheren Grad an Kreativität. Auch die Produzenten und Regisseure fordern das mehr und mehr. Das können wir im Augenblick beobachten, besonders im Bereich Digital Intermediate.

Wie eng ist die Integration der Discreet-Compositing-Systeme mit Lustre. Ist es möglich, beispielsweise Mattes und Layers von einer Discreet-Compositing-/Effektlösung in Lustre zu exportieren?

Maurice Patel: Lustre hatte in der Version 1 hier nur eingeschränkte Import- und Exportmöglichkeiten, aber Version 2 von Lustre, die wir erstmals zur IBC2003 vorstellen, bietet eine deutlich engere Anbindung und Integration anderer Discreet-Systeme.
So wird es beispielsweise möglich sein, Garbage-Masks und ähnliches aus den Editing- und Effekt-Applikationen in Lustre zu importieren, diese Daten werden sich also direkt austauschen und weiter verarbeiten lassen.

Man kann also die schon im Compositing-Bereich erstellten Masken nutzen, um damit auch partielles Color Grading zu realisieren?

Maurice Patel: Exakt. Das bringt eine erhebliche Effektivitätssteigerung. Außerdem unterstützen Discreet-Systeme wie etwa Flame, Fire und Smoke künftig auch das Standard-File-System. Wir können mit diesen Systemen DPX-Files nun direkt und nativ lesen. Das vereinfacht und beschleunigt den Datenaustausch zusätzlich.
Zudem lassen sich mit unseren Systemen, als auch mit Lustre, künftig die plattform-übergreifenden Möglichkeiten des CFX-Shared-File-Systems nutzen. Sowohl Lustre wie auch die anderen Systeme werden also funktional erweitert. Auf lange Sicht wollen wir auch eine Funktion integrieren, die es etwa ermöglich, einen Effekt oder einen Node zu kreieren und ihn fürs Rendern in ein anderes System importieren zu können. Das ist in Version 2 von Lustre noch nicht integriert, doch wir streben es für die Zukunft an, so wie wir eben prinzipiell eine sehr enge Anbindung und Integration der verschiedenen Systeme mit Lustre anstreben.

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