Branche, Broadcast, Top-Story: 01.09.2015

RTL und CBC: Fernsehen bleibt stark

Wie wird sich der Fernsehmarkt weiter entwickeln? Welche langfristigen Perspektiven haben »klassische« TV-Sender, wo liegen ihre Stärken und Chancen und welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen? film-tv-video.de diskutierte diese Fragen mit Thomas Harscheidt, Mitglied der Geschäftsleitung Mediengruppe RTL Deutschland und Geschäftsführer CBC.

Wo liegen heutzutage, in einem sich wandelnden wirtschaftlichen und medialen Umfeld, die Stärken klassischen Fernsehens?

Harscheidt: Klassisches Fernsehen hat einige entscheidende Vorteile: Es erreicht sehr schnell sehr viele Menschen — und zwar alle gleichzeitig und zu konstanten Kosten für den Anbieter. Auch heute kommt kein anderes Medium unmittelbar auf vergleichbare Reichweiten, wie lineares TV sie bietet.

Gerade in einem fragmentierten Markt, wie wir ihn heutzutage haben, ist der Wert der Reichweite noch höher als je zuvor zu bewerten. So gibt es eben bestimmte Ereignisse, über die man am nächsten Tag spricht, die man als Zuschauer »sehen muss« – und die man live sehen will. Ich bin deshalb fest davon überzeugt, dass die großen und etablierten Sendermarken in einer zunehmend fragmentierten Medienlandschaft auch künftig wie Leuchttürme herausragen und weithin sichtbar bleiben werden. Für die Mediengruppe RTL lässt sich sagen, dass wir die größten Reichweiten mit linearem Fernsehen erzielen. Das gilt insbesondere für Sport, aber auch für die großen Shows. Wir haben deshalb etwa auf RTL Nitro damit begonnen, die European Qualifiers, also die Qualifikationsspiele für die Euro 2016 zu übertragen. Die aktuellen Qualifikationsspiele der deutschen Nationalmannschaft für die EM und WM sind ja ohnehin auf RTL zu sehen.

Die Mediengruppe RTL wird die Sportberichterstattung also weiter ausbauen?

Harscheidt: Das ist natürlich auch immer eine Frage der Verfügbarkeit, aber ganz grundsätzlich wird Sport, also Fußball, Formel 1 und Boxen, für uns eine wichtige Rolle spielen.

Könnte sich auf der technischen Seite UHD für klassische Broadcaster als Technologie erweisen, die es den Sendern ermöglicht, sich von Online-Angeboten abzuheben?

Harscheidt: Ich glaube, dass UHD die nächste Evolutionsstufe unseres Fernsehens sein wird, dass Multicast und Broadcast schlichtweg Effizienzvorteile haben, wenn viele Leute zuschauen.

Bei CBC und der Mediengruppe RTL bereiten wir uns darauf vor, in UHD zu produzieren und auszustrahlen, mit den Vorteilen der besseren Auflösung, höherer Dynamik, also HDR, und einem erweiterten Farbraum. Wenngleich wir noch nicht im Detail entschieden haben, wann wir das tun werden.

Wie kann sich lineares, klassisches Fernsehen von der Konkurrenz im Online-Bereich wie Youtube, Netflix und Amazon abheben — auch inhaltlich?

Harscheidt: Im TV-Markt gibt es bereits heute gar keine scharfe Trennlinie mehr zwischen klassischen oder alternativen Angeboten. Das zeigt ein aktueller Blick auf die Senderfamilie der Mediengruppe RTL: Was wir als »klassische« Senderfamilie anbieten und distribuieren, findet mittlerweile auf ganz unterschiedlichen Kanälen statt. Wir verbreiten Programminhalte linear, nichtlinear, online, on demand, Multicast und Unicast. Wir sind also längst nicht mehr auf nur einen Übertragungsweg oder ein Angebot begrenzt.

Das ist aus meiner Sicht auch ein großer und wichtiger Unterschied zu den Online-Anbietern, denn die bieten letztlich nur Unicast.

Was kann ein Broadcaster, was Streaming-Portale nicht können?

Harscheidt: Wir können auf dem Broadcast-Weg eine hohe, gleichbleibende Qualität bieten, wir erreichen viele Zuschauer gleichzeitig, wir haben eine hohe Verfügbarkeit und wir wissen schon vor der Übertragung, was uns das Ganze kosten wird. All diese Vorteile sind insbesondere bei der Distribution und Produktion großer Events, etwa bei Live-Sportveranstaltungen, ein Riesenvorteil. Ich sehe aus technischer Sicht auch langfristig keinen Sinn darin, große und wichtige Live-Events per Unicast anzubieten.

Sie haben es indirekt schon angesprochen: Neben den technischen Rahmenbedingungen spielen natürlich auch die Inhalte von TV-Sender ebenso wie von Streaming-Anbietern eine große Rolle. Wie positioniert sich die Mediengruppe RTL hier?

Harscheidt: Natürlich ist es so, dass die Online-Anbieter speziell im Serienbereich mit uns in Konkurrenz treten. Doch wir glauben an unsere eigenen Stärken: Wir haben ein ausgewogenes Programm mit ganz unterschiedlichen Bestandteilen, angefangen von Live-Events, über Sport, Magazinsendungen und die aktuelle Nachrichten-Berichterstattung, bis hin zu unterschiedlichen Unterhaltungsformaten. Unser Portfolio geht weit über Serien- und Spielfilmangebote hinaus.

Was verändert sich für CBC, wenn sich das Gefüge und die Gewichtung zwischen klassischem Broadcasting und Online-Angeboten verändert — und beispielsweise mehr für Online-Auswertungen produziert und angeboten wird?

Harscheidt: Über diese Gewichtung entscheidet letztendlich der Zuschauer. Er entscheidet, wann über welchen Weg und auf welchen Devices er etwas sehen möchte. Wir passen unsere Angebote inhaltlich und technisch so an, dass sie idealerweise überall zur Verfügung stehen.

Aber es gibt gewisse technische Einschränkungen: Eine Fußball-WM als Unicast-Produkt wäre im Augenblick nicht realisierbar — selbst wenn sie der Zuschauer wollte, was ich aber ohnehin stark bezweifle. In anderen Bereichen gestalten wir die Evolution mit. So ist beispielsweise Home-Recording nicht mehr zeitgemäß und wir bieten via Online mehr Möglichkeiten für zeitversetztes Fernsehen.

Wir können nicht nur in Unicast- und Multicast-Kategorien denken. Es geht auch nicht mehr darum, ein lineares Programm zusammenzustellen, sondern darum, den Content für die entsprechenden Verbreitungswege und Endgeräte aufzubereiten und dem Zuschauer anzubieten.

Denken sie denn auch über zusätzliche, noch enger fokussierte Kanäle nach –etwa in Form von Web-Only-Content und Web-Originals?

Harscheidt: Das ist auf jeden Fall ein Thema, denn es gibt schon jetzt Inhalte, die wir speziell fürs Web produzieren. In Zukunft werden wir das weiter ausbauen und im vierten Quartal ein Online-Angebot für die mobile Nutzung namens RTL Next starten, wo wir tagesaktuell berichten und uns an den Nutzungsgewohnheiten der jüngeren Zielgruppe orientieren.

Durch die geballte Kompetenz von RTL interactive und InfoNetwork werden wir mit RTL Next den Rezipienten hochwertige und interessante Web-Originals anbieten.

Müssen solche Web-Präsenzen möglichst viele Inhalte bieten — so wie Youtube — oder sollten sie ähnlich wie ein TV-Kanal betrieben und bestückt werden?

Harscheidt: Ich weiß nicht, ob das Wort TV-Kanal hierfür der passende Begriff ist, aber wir betrachten unsere Aktivitäten zumindest unter dem Dach der einzelnen Marken. Wir werden sicherlich keine Schnipsel im Internet verstreuen, sondern gezielt und gesammelt Angebote unter einer gemeinsamen Marke präsentieren. Marken bieten dem Zuschauer eine immer wichtiger werdende Orientierungshilfe bei der Wahl seiner Inhalte.

Setzen Sie bei der Online-Distribution von Inhalten auf eigene Infrastrukturen oder auf externe Partner?

Harscheidt: Produktion und Aggregation werden wir bei unseren Inhalten auch künftig komplett intern abwickeln. Aber bei der Online-Verbreitung arbeiten wir mit Plattform-Partnern zusammen und übergeben an dieser Stelle für die Distribution. Inhalte und „Look and Feel“ werden jedoch immer bei uns im Haus entstehen.

Welche Bedeutung haben technische Entwicklungen wie die IP-Technik in diesem Szenario? Welche Chancen und Risiken ergeben sich dadurch?

Harscheidt: Die Investition in IP-Technik ergibt keinen Sinn, wenn sie nur um der Einführung einer neuen Technik Willen stattfindet. Für uns ist IP-Technik erst dann ein Thema, wenn wir auch in UHD produzieren: Dafür denken wir über die Einführung von IP-Technologien nach.

Welche Rolle spielen Second-Screen-Technologien?

Harscheidt: Natürlich bieten wir auch Second-Screen-Angebote. Mit „Rising Star“ hatte RTL ein Angebot, das sich ganz speziell auf Second Screen und Interaktion konzentrierte. Wir haben hier aber die Erfahrung gemacht, dass viele Zuschauer solche Interaktionsmöglichkeiten in diesem Umfang gar nicht wollen und Fernsehen bevorzugt als Lean-Back-Aktivität genießen.

Persönlich habe ich nicht erwartet, dass sich plötzlich jeder Zuschauer mit dem Second Screen beschäftigen wird — und diese Einschätzung bestätigt sich auch.

Mit welchem Konzept möchte RTL die Generation Youtube für sich gewinnen?

Harscheidt: Die RTL Group ist mit den Multichannel-Netzwerken BroadbandTV, Style Haul und Divimove und den Angeboten von FremantleMedia mittlerweile der zweitgrößte Bewegtbild-Anbieter bei Youtube. Wir sind de facto schon jetzt bei dieser Zielgruppe sehr präsent, und das nicht nur unter der Marke RTL. In Deutschland werden wir – wie bereits gesagt – mit RTL Next ein weiteres attraktives Angebot für jüngere Zuschauer zur Verfügung stellen.

Denken Sie, dass die intensive mobile Nutzung von Inhalten auch eine Altersfrage ist? Soll heißen: Wird die Generation Youtube mit zunehmendem Alter doch wieder auf den großen Schirm umsteigen?

Harscheidt: Wenn wir die entsprechenden Plattformen alle bedienen, spielt es für uns letztlich keine Rolle, welches Endgerät genutzt wird. Wichtig ist nur, dass unsere Angebote genutzt werden — gleichgültig, ob auf kleinem oder großen Display.

Worin liegt, ganz allgemein gesprochen, die Zukunft des Privatfernsehens?

Harscheidt: In attraktiven Inhalten für alle Zielgruppen, die jederzeit und überall, auf allen möglichen Devices verfügbar sind. Wenn ich von attraktiven Inhalten spreche, meine ich damit neben Sport-Highlights, Events und Shows auch Aktuelles wie gut aufbereitete Nachrichten und Magazine. Ich denke, wir sind inhaltlich wie technisch, sehr gut aufgestellt.

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Autor
Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller

Bildrechte
Dirk Schwarz, Ruprecht Stempell, ©CBC/RTLII

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