Report, Top-Story: 06.02.2006

Olympia-Netzwerk in HD: NBC in Turin

Der amerikanische Senderverbund NBC wird im großen Stil von den olympischen Winterspielen in Turin berichten: in HD und SD, mit unterschiedlichsten TV-Formaten, auf insgesamt neun Kanälen. Erstmals überträgt NBC von Turin aus olympische Spiele (auch) in HD und wird dabei gleichzeitig neue Arbeitsabläufe umsetzen. David Mazza ist als Senior Vice President NBC Olympics Engineering für die Organisation und technische Umsetzung dieser Mammutaufgabe verantwortlich. Er sprach mit www.film-tv-video.de über das Projekt insgesamt und erläuterte einige Besonderheiten. (Zum Download der druckfreundlichen PDF-Version mit 468 kB und einigen Zusatzinfos klicken Sie bitte auf den Dateinamen am Textende).

Um die Dimension des technischen Aufwands zu verdeutlichen, den NBC bei den Winterspielen in Turin treibt, wählt David Mazza eine plakative Aussage: »Wir glauben, dass unsere Installation in Turin für 17 Tage im Februar die wahrscheinlich größte operierende HD-Produktionsstätte der Welt sein wird.« Da NBC auf insgesamt rund 7.000 Quadratmetern ein eigenes, temporäres Broadcast-Center errichtet und rund 2.500 Mitarbeiter an den Hauptveranstaltungsorten in Turin und Sestriere arbeiten werden, könnte das durchaus zutreffen. In weniger als 40 Tagen baute der Sender die Technik auf, dann folgte eine etwa ebenso lange Test- und Fehlerbeseitigungs-Phase. Ziel dieser Bemühungen sind insgesamt 35 Betriebstage, von denen 17 die heiße Phase mit voller Auslastung darstellen. Nach den Spielen wird alles innerhalb von zehn Tagen wieder komplett abgebaut und große Teile des Equipments werden bis zum nächsten Olympia-Event eingelagert.

Schon bei den vergangenen Sommerspielen in Athen hatte NBC gleich viel Platz benötigt wie in Turin, einen in etwa vergleichbaren technischen Aufwand betrieben. Mit der dort aufgebauten, temporären Facility, die rund um die Uhr in Betrieb war, produzierte NBC insgesamt 1.210 Stunden Sendezeit, im Durchschnitt 70 Stunden pro Tag, auf sieben verschiedenen Sender-Plattformen. »Für die Berichterstattung von den Winterspielen aus Turin sind rund 50% der Airtime vorgesehen, die wir aus Athen bestritten haben. Dennoch sind Aufwand und Komplexität in Turin mindestens vergleichbar, weil wir hier erstmals Olympia in HD produzieren«, erläutert David Mazza. »Wir werden sehr viel Equipment einsetzen, das wir noch nie bei einem vergleichbaren Event ausprobieren konnten. Das birgt natürlich ein gewisses Risiko, aber wir hatten gar keine andere Wahl und sind zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern auch unter den höheren technischen Anforderungen, die HD nun mal mit sich bringt, einen ähnlichen Workflow wie in Athen realisieren können.«

Unter den Partnern spielt neben Sony mit Kameras, Recordern (32 HDCAM-Recorder allein schon im Central Videotape Area), Mischern und einem PetaSite-Speichersystem auch Avid eine große Rolle, denn NBC installierte in Turin unter anderem ein sehr umfangreiches HD-Speichernetzwerk und zahlreiche HD-Schnittplätze, sowie Grafiksysteme und weitere zehn SDNLE-Plätze. Wie im Sportbereich üblich, sind auch zahlreiche Mehrkanal-Server von EVS (XT-2) in Betrieb. Weitere Firmen, die zentrale Bestandteile der Installation lieferten, sind Miranda mit HD/SD-Wandlern, Frame-Synchronisern, Mux/Demux-Modulen und Down-Konvertern sowie Tandberg mit MPEG-De/Encodern und Multiplexern. Aus Deutschland sind Ingenieure von Blue Order vor Ort, die sich darum kümmern, dass die Erzeugung von Proxies und deren Übernahme in das Browsing- und Archivsystem reibungslos klappt: Jedem Recorder ist ein über das Kontrollsystem Cyradis gesteuerter PC zugeordnet, der die MXF-Proxies für das Blue-Order-System generiert. Im Bereich Systemintegration setzte NBC während Planung, Aufbau und Inbetriebnahme auf Ascent Media.

Das NBC-Engineering-Team hat gemeinsam mit Sony und Ascent Media 15 Monate lang geplant, wie man den Wechsel zu HD in der Olympia-Berichterstattung umsetzen könnte. Weil schon eine umfangreiche SD-Infrastruktur existierte, entschloss man sich, darauf aufzubauen und ein »HD-Layer« auf und um diese SD-Infrastruktur zu legen. Alle HD-Signalwege basieren auf neuem HD-Equipment, während weniger wichtige Monitoring-Pfade, Teile der SDI-Audio-Verteilung und einige Übertragungswege mit SD-Equipment realisiert wurden.

NBC wird im Rahmen der Olympia-Berichterstattung Bildmaterial sowohl in SD wie in HD in die Heimat des Senders übertragen und das Programm auf drei HD- und sechs SD-Kanälen ausstrahlen.

»Das meiste davon wird nativ im jeweiligen Format produziertes Material sein, es wird sich aber auch up- und down-konvertiertes Material darunter befinden. Der Grund dafür liegt darin, dass schon vom Host-Broadcaster nicht alle Events in HD produziert werden, es also hierbei teilweise Mischbetrieb geben wird. Es ist aber auch so, dass wir unsere einzelnen Plattformen mit unterschiedlichem Material aus Turin bedienen müssen,« erläutert David Mazza.

NBC hat eigene Kameras und Ü-Wagen vor Ort, wird aber auch intensiv auf das vom Host Broadcaster angebotene Material zurückgreifen. Mehr als 65% der Feeds werden dabei in echtem, nativem HD vorliegen. Die SD-Feeds werden im Seitenverhältnis 16:9 produziert und hochkonvertiert, wenn sie im Broadcast Center ankommen. Dort wird dann durchgängig in 1080i/50 produziert und am Ende der Produktionskette, bevor das Material nach USA abgesetzt wird, findet die Wandlung in 1080i/60 (59,94) statt. Dort wo SD-Feeds benötigt werden, entstehen diese als 4:3-Zentralausschnitt aus dem 16:9-HD-Bild. Diese Bildformatanpassung geschieht ebenfalls erst am Ende der Produktionskette, direkt vor der Übertragung nach New York. SD- und HD-Feed dienen jeweils gegenseitig als Backup-Übertragung, bei Problemen wird dann in den USA entsprechend up- oder down-konvertiert.

Von all dem Gesagten, das eigentlich schon komplex genug ist und ausreichend Hürden beinhaltet, gibt es eine Ausnahme, die das Ganze für die NBC-Mitarbeiter leider nicht übersichtlicher macht: Die Wettbewerbe im Eisstockschießen werden von NBC in SD im Seitenverhältnis 4:3 produziert. Der Grund dafür liegt in der Verwertung in den USA, wo es einen Curling-Kanal im Kabel gibt, der als Hauptabnehmer für diesen Sport fungiert. Außerdem produziert NBC dieses Event in einem neuen Workflow, nämlich von einem räumlich abgesetzten Kontrollraum in New Jersey aus.

»Insgesamt stellen die Seitenverhältnisse ein nicht zu unterschätzendes Problem dar. Wir werden zwischen 4:3 und 16:9 konvertieren müssen, werden Bilder in Pillarbox und Letterbox herstellen, verarbeiten und ausgeben. Dafür haben wir intern genaue Regeln festgelegt. Als Grundsatz gilt: Wir werden keine Bilder aus ihrem richtigen Seitenverhältnis verzerren. Also wird 4:3-Material, das wir verwenden, – etwa aus dem Archiv oder von Spezialkameras – als Pillarbox mit seitlichen Balken produziert. Wenn die Zeit reicht, werden die Balken mit Grafiken gefüllt, was aber von Fall zu Fall entschieden werden muss.«

Hatte NBC bei den Sommerspielen in Athen an sechs Veranstaltungsorten eigene Editing-Möglichkeiten geschaffen, so ist das in Turin nun an acht Orten der Fall. Zusammen mit den höheren technischen Anforderungen, die HD mit sich bringt, brauchte NBC also eine leistungsfähige Lösung in diesem Bereich. »Wir mussten schon allein deshalb auf das Isis-System von Avid umsteigen, weil es größere Kapazitäten bietet, denn mit Unity hätten wir die geplante Installation gar nicht umsetzen können. Wir mussten schnelles Editing in HD für viele vernetzte Nutzer realisieren und genau das geht mit Isis.«

Der prinzipielle Aufbau sieht so aus, dass im NBC-Broadcast-Center ein zentrales, großes »Grafik-Netzwerk« realisiert wurde und zudem ein zweites, damit verbundenes, kleineres, eher auf Editing ausgerichtetes Netzwerk. Das große Netzwerk ist mit elf Bearbeitungs-Stationen und 40 TB Speicherkapazität ausgestattet. Vier Media Composer HD Adrenaline dienen zum Editieren, sieben News-Cutter werden als Ingest-Stationen genutzt. Drei Transfer-Manager, ein Media Manager und ein kleines PetaSite-System von Sony für die Archivierung komplettieren das große Gesamtsystem.

Insgesamt kommen sechs Unity Isis und drei Unity LanShare mit insgesamt 100 Terabyte Speicherkapazität zum Einsatz, das reicht für insgesamt 800 Stunden HD-Material (unter Einsatz des DNxHD-Codecs mit den von NBC gewählten Parametern). Zudem gibt es an verschiedenen Orten auch noch NLE-Einzelarbeitsplätze. Ingesamt setzt NBC in Turin laut Avid 36 Media Composer Adrenaline ein, von denen 29 mit dem DNxcel-HD-Board ausgestattet sind. Innerhalb der Postproduction nutzt NBC den DNxHD-Codec, um schneller und mit niedrigerer Bandbreite arbeiten zu können.

Darüber hinaus gibt es auch noch einige lineare Schnittplätze und die Möglichkeit, direkt auf den EVS-Systemen zu editieren. Die linearen Suiten bestehen jeweils aus einer Sony BVE-9100 Schnittsteuerung, einem GPS-8000 Audiomisch-pult, einem MFS-2000 HD-Mischer, vier Recordern aus der HDW-Familie, einem 4-Kanal-HD-Server von EVS, einem 360 Systems TCR-8 Audio-Diskrecorder und einem Denon-CD-Player.

Die XT-2s von EVS werden in unterschiedlichen Konfigurationen an verschiedenen Stellen der NBC-Olympia-Infrastruktur eingesetzt. Die 4-Kanal-Systeme speichern ungefähr 15 Stunden HD-Material auf 146-GB-Festplatten. Die 6-Kanal-Systeme sind mit 300-GB-Platten bestückt und fassen etwa 30 Stunden. Die XTs sind über ein EVS SportNet mit1,5-Gbps-SDTI vernetzt, über das Material im Hintergrund zwischen den Servern überspielt werden kann. Über die neue Benutzeroberfläche IP-Director können Clips im gesamten Netzwerk geloggt, gesucht und abgerufen werden.

Die Grafikstationen sind weit überwiegend PC- und mac-basiert und über ein X-SAN von Apple vernetzt, dennoch bilden fünf HD-Schriftgeneratoren des Typs Deko3000 und fünf Thunder-HD-Server das technische Rückgrat in diesem Bereich. Alle Macs können Files via X-SAN sehen und teilen, sie sind über das X-SAN auch mit den Avid-Stationen verbunden.

»Es sind die vierten Olympischen Spiele in Folge, bei denen wir Avid-Lösungen einsetzen, und die dritten unter Einsatz der früheren Pinnacle On-Air-Grafik-Systeme, die jetzt unter dem Namen Avid laufen. Wir haben jedes Mal einen größeren und leistungsstärkeren Workflow adaptiert, ohne Effizienz und Zuverlässigkeit zu reduzieren«, sagte David Mazza. »Für die Olympischen Spiele 2006 stellen wir die für uns bisher umfassendste Shared-Storage-Lösung auf. Sie bildet das Herzstück unseres Editing- und Grafik-Workflows, der zum ersten Mal auch HD-Produktion und -Broadcasting unserer Feeds ermöglicht. Es ist jedes Mal eine Herausforderung, derartig viele Systeme verschiedener Hersteller zusammen zu bringen. Mit Hilfe von Avid ist aber eine nahtlose und geschlossene Konfiguration möglich. Noch wichtiger und zwingend notwendig ist, dass wir bei den extrem zeitsensitiven Produktionszyklen der olympischen Ausstrahlungen über die volle Funktionalität verfügen können und guten Support bekommen. Für Avid ist das alles kein Problem.«

Ein interessanter Ansatz zur Erprobung neuer Arbeitsweisen besteht darin, dass drei der von NBC bei den Winterspielen genutzten Avid-Schnittsysteme in der Zentrale in New York stehen, aber das gleiche Material nutzen können, wie das »Grafik-Avid-System« in Turin. Realisiert wird das über eine 155-Mbps-OC3-Verbindung, mit Transfer-Managern an beiden Enden. Die abgesetzten Schnittsysteme greifen über den Media Manager in Turin auf das gesamte Material zu, können über das Blue-Order-System Proxies sehen und so gezielt und schnell Material vorauswählen. Die »Remote-Avids« werden sowohl mit Material in 1080i/50, wie in 625/50 arbeiten, aber am Ende der Bearbeitung wird das Material konvertiert und mit 525/60 auf Band ausgeben — das Endprodukt dieser Systeme ist also immer SD für die Verwendung als Promo in den Network- und Kabel-Programmen von NBC sowie auf NBCOlympics.com und im Video-on-Demand-Sektor.

An weiteren technischen Herausforderungen in Turin nennt Mazza den Kommunikationsbereich mit Voice-over-IP für Telefon und Intercom. Das von NBC genutzte Telex Intercom nutzt nämlich nun intensiv die Voice-over-IP-Technologie. Ebenso wurden viele der Telefone an den einzelnen Veranstaltungsorten auf diese Technologie umgestellt.

Bei der Übertragung arbeitet NBC mit AT&T zusammen. Über diesen Provider werden alle Übertragungsdienstleistungen und Kommunikationsaufgaben abgewickelt. Eine Besonderheit stellen dabei die HD-Services dar, die mit etwa 90 – 100 Mbps übertragen werden. SD-Übertragungen werden mit etwa 20 Mbps realisiert. Reichten NBC bei den Winterspielen in Salt Lake City Verbindungen nach New York mit einer Gesamtbandbreite von 155 Mbps aus, so überträgt AT&T nun mehr als 1000 Mbps von Turin aus in die USA.

Das alles klingt komplex und ist es auch, aber David Mazza bleibt cool: »Im Großen und Ganzen werden wir mit ähnlichen Workflows arbeiten, wie schon in Sydney,

Athen und Salt Lake City.« Was kostet das Ganze? »Die Mehrkosten für die Olympia-Produktion in HD liegen bei etwa 10 Millionen Dollar. Das entspricht ungefähr dem Preis, den man für einen großen Ü-Wagen, einen HD-Supertruck bezahlen müsste. Zwar ist auch vieles von dem Equipment das wir nutzen gemietet, aber insgesamt halten sich die Mehrkosten damit eigentlich in Grenzen.«

Alles anders?

Ein Alptraum für alle Broadcaster vor Ort: Rund eine Woche vor Beginn der Winterspiele in Turin musste das Mountain Broadcast Center (MBC) in Sestriere wegen Einsturzgefahr dieses temporären Container-Dorfs geräumt werden. Da in Sestriere der Großteil der alpinen Wettkämpfe stattfindet, ist das MBC neben dem zentralen International Broadcast Center (IBC) in Turin der wichtigste Standort der Broadcaster während der Winterspiele 2006. Auch wenn der Veranstalter es schafft, das Problem rasch zu lösen, werden alle Broadcaster unter dem Zeitverlust der durch die Räumung und Sperrung entstanden ist, während der aktuell laufenden, heißen Vorbereitungsphase leiden.

Weitere Infos

Einen Artikel zur Präsenz des ORF bei den olympischen Winterspielen in Turin finden Sie hier.

Downloads zum Artikel:

T_0206_NBC_Turin.pdf