Broadcast, Top-Story: 11.10.2001

Durchbruch für die Multimedia Home Platform (MHP)

In der »Mainzer Erklärung« verabschieden Sender und Landesmedienanstalten MHP als einheitlichen Standard für Zusatzanwendungen im Digitalfernsehen. Die Einführung soll bis Mitte 2002 erfolgen. Die KirchGruppe macht dabei mit und stoppt ihr proprietäres System.

Eine wichtige Weichenstellung für das digitale Fernsehen erfolgte am 19. September 2001: Vertreter von ARD, ZDF, KirchGruppe, RTL und der Landesmedienanstalten in Mainz bekannten sich an diesem Tag gemeinsam zur Einführung der Multimedia Home Platform (MHP). MHP soll demnach als einheitlicher Standard für Zusatzanwendungen beim Digital Video Broadcasting (DVB) eingeführt werden und zwar spätestens ab 1. Juli 2002 sowohl im Kabel (DVB-C), per Satellit (DVB-S) und Antenne (DVB-T).
Mit Rückendeckung der regionalen Regulierer wollen die TV-Veranstalter künftig interaktive Mehrwertfunktionen anbieten, die allesamt ausschließlich das innerhalb von MHP definierte Application Programming Interface (API) auf Java-Basis nutzen. An die Geräteindustrie geht der Aufruf, preiswerte Endgeräte in ausreichender Zahl bereitzustellen. Innerhalb der digitalen TV-Angebote schon bestehende Zusatzdienste sollen »in einem überschaubaren Zeitraum« auf MHP überführt werden.

KirchGruppe: MHP statt proprietärer Technik

»Diese Verständigung bedeutet das Ende der Technologie-Streitigkeiten, die die Entwicklung des digitalen Fernsehens in Deutschland und von Premiere World nachhaltig behindert haben,« kommentierte Peter Mihatsch, Geschäftsführer Technologie und Netze der KirchHolding, die Mainzer Erklärung. Bei der KirchGruppe zieht man klare Konsequenzen: »Die Bindung von Premiere World an proprietäre Technologien wird aufgelöst, … die MHP-Technologie wird schnellstmöglich für die Premiere-World-Infrastruktur eingeführt.« Das bedeutet eine klare Abkehr vom bisherigen Festhalten an der eigenen, proprietären Technik der KirchGruppe.
Was die Kundenseite betrifft, ist offenbar ebenfalls geplant, MHP schnellstmöglich umzusetzen. So sollen die D-Boxen der 1,7 Millionen Premiere-World-Digitalabonnenten, die bereits am Markt sind, software-seitig angepasst werden, ohne dass hierzu die Kunden aktiv werden müssten: »Da die D-Boxen auf Java basieren, sind sie in der Lage, MHP-Anwendungen abzubilden«, so der Pressetext der KirchGruppe, und weiter: »Der Kunde muss dazu nichts veranlassen.«

IFA mit Schwerpunkt MHP

Zahlreiche Aussteller zeigten während der diesjährigen Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin MHP-Anwendungen. Zwar wurde vorsichtshalber noch auf mehreren Plattformen parallel entwickelt, dennoch nannten Software- und Content-Häuser, wie auch ihre Auftraggeber, immer wieder MHP als Wunschlösung. So auch Uwe Welz, Leiter Interaktive Dienste im ARD-Playout-Center Potsdam. Zwar seien umfangreiche Teile des neuen Fernsehportals der ARD schon auf MHP portiert, man werde aber wegen der bislang noch unklaren Situation zum Jahreswechsel noch mit der F.U.N.-Plattform (OpenTV-Standard) starten, hieß es während der IFA. Ähnlich äußerten sich Vertreter der Berliner Multimediaagentur Pixelpark, die unter anderem für den hessischen Kabelbetreiber Iesy arbeitet, der gegenwärtig den Liberate-Standard einsetzt.
Sony präsentierte verschiedene Digital-TV-Zusatzdienste auf dem ersten serienreifen MHP-fähigen Fernsehgerät. Auch bei dieser neuen Gerätegeneration ist für Produktmanager Mark Lodero aber klar: »Die Killer-Applikation heißt Fernsehen«.
So schaffen DVB und MHP die Grundlage zur Einführung gebührenpflichtiger Spartenprogramme für mehr oder weniger große Zielgruppen. Den entscheidenden Unterschied zur analogen Aussendung von frei empfangbaren Fernsehprogramme aber und damit eines der tragenden Argumente für die digitale Übertragung überhaupt, stellen sicher die interaktiven Anwendungen dar.
Nach Angaben der Deutschen TV-Plattform wurden inzwischen mehr als 1.500 Anwendungen auf MHP-Konformität getestet.
Darunter befinden sich Applikationen des Hannoveraner Startup-Unternehmen Starzone »interaktivierte« Videoclips und Serienausschnitte. Hot Spots, die sich mit den Personen oder Gegenständen im Fernsehbild bewegen, weisen dabei auf zusätzliche Inhalte hin. Diese können über die Ziffern- oder Farbtasten einer Fernbedienung aufgerufen werden.
Programmbegleitung durch Integration von TV-Portalen stellte das Hamburger Unternehmen SCIP in den Mittelpunkt. Gezeigt wurde RTL World und zwar sowohl in einer aktuellen Version unter OpenTV, als auch unter MHP. Genutzt wurde eine neue Set-Top-Box von F.U.N.-Ausstatter Panasonic, die für beide Plattformen geeignet ist. SCIP programmierte auch E-Mail- und SMS-Dienste für RTL World sowie Software für Chat-Foren.
Eine andere Form der Programmbegleitung umfasst das Formel 1-Portal des Kirch-Unternehmens Top5Media aus München. Für BMW entstand dort ein TV-Auftritt, der jeweils zum laufenden Rennen zusätzliche redaktionelle Inhalte und kommerzielle Angebote bietet. Wichtig auch hier: die leichte Bedienung mit den vier Farbtasten der Fernbedienung.
Mit dem Pinguin hält es das Berliner Software-Haus Convergence. Ihr LinuxTV kommt derzeit in der Activy-Box von FujitsuSiemens zum Einsatz. Zudem will der Hersteller Galaxis LinuxTV in einer Box einsetzen, die im kommenden Jahr in großen Stückzahlen nach Finnland ausgeliefert werden soll. Dort starteten DVB und MHP bereits am 27. August 2001, wenngleich ohne ausreichende Gerätebasis auf der Empfängerseite. Convergence will weiterhin SMS vom Handy auf den Fernseher bringen. »SMS2TV« könnte neben der Kommunikation mit Kurzbotschaften, auch dazu benutzt werden, um Videorecorder per Handy aus der Ferne zu programmieren.

Hardware-Hersteller in den Startlöchern

DVB-Empfänger, also Set-Top-Boxen für das digitale Fernsehen nach europäischer Lesart, werden wegen der großen europaweiten Marktbasis zunächst vorwiegend für den Satellitenempfang angeboten.
Für das erste Quartal 2002 avisiert Nokia sein MHP- und linux-basiertes »Mediaterminal«. Dieser neue Fernsehcomputer der Finnen, die auch an Produktion und Entwicklung der D-Box mitwirkten, ist mit einem 566-MHz-Prozessor, einer Festplatte, einem Smartcard-Leser und diversen Anschlüssen (Modem, FireWire, USB, Ethernet) umfangreich ausgestattet. Zu den Funktionen des Geräts gehört der »Navi Bar«, ein nokia-eigener Electronic Program Guide. Zwei sich kreuzenden Balken sollen dem Zuschauer helfen, sich durch die diversen Angebote zu navigieren und gleichzeitig einen günstigen Gerätepreis ermöglichen: Nokia will die Felder des »Navi Bar« nämlich an Informationsanbieter vermieten. Auch Platz auf der Harddisk könnte vermarktet werden, um schnelleren Zugriff auf große Datenmengen zu ermöglichen. Absichtserklärungen für die Nutzung solcher Möglichkeiten gibt es von der HypoVereinsbank, memIQ, dem Otto Versand, der Ravensburger Interactive Media GmbH, SES Multimédia S.A. (Astra), Super RTL, Tipp24.de, Tui.de, urbia.com und wissen.de (Bertelsmann). Die KirchGruppe ist etwa mit der TV-Adaption des Kurzfilmportals www.shorts-welcome.de mit von der Partie.

Überall Fernsehen

Hunderte Digitalprogramme sind bereits über Satellit oder Kabel empfangbar, in Berlin/Brandenburg und Norddeutschland gibt es auch terrestrische Angebote. Allerdings gibt es derzeit noch medienpolitische Probleme. Hintergrund ist etwa die Forderung der Mainzer Erklärung, »eine elektronisch vernetzte und multimedia-taugliche Welt mittels technologischer Standards in die Lage zu versetzen, auch tatsächlich miteinander kommunizieren zu können«.
So erwarten die Unterzeichner von den Erwerbern der regionalen Kabelgesellschaften klare Zusagen: »Der Einsatz von MHP als offene und standardisierte Multimediaplattform (ist) Grundvoraussetzung für den Markterfolg des digitalen Fernsehens, das trotz einer Regionalisierung immer bundesweit gesehen werden muss.«

Problem Terrestrik

Obwohl heute kaum noch drei Millionen der deutschen TV-Haushalte ihre Programme über die Hausantenne empfangen, bringt DVB-T aus medienpolitischen Gründen die größten Probleme. Juristisch ist die Antenne Träger der durch ARD und ZDF zu leistenden »Grundversorgung«. Beide Anstalten sehen sich daher existenziell von der Terrestrik abhängig. Michael Albrecht: »Wir brauchen die Verlässlichkeit, dass unsere Dienste überall ankommen und funktionieren.« So wollen ARD und ZDF ihre analogen Ausstrahlungen erst beenden, wenn die bundesweite digitale Vollversorgung gewährleistet ist. »Umstiegsszenarien kann man nur gemeinsam realisieren«, merkt Koordinator Albrecht an.

Eine für alle

Dank MHP ist ein horizontaler Markt zu erwarten, der Herstellern, Inhalteanbietern und Netzbetreiber Raum zur Positionierung – auch in Gestalt von Allianzen – schafft. Zudem können Dank des Java-API bestehende Angebote mit relativ geringem Aufwand angepasst werden, was auch Investitionssicherheit für die Nutzer bringt. Bei der Weiterentwicklung von MHP geht es nicht zuletzt um die Internet-Integration und perspektivisch soll eine »Multimedia Car Platform« Inhalte und technische Plattformen unter einem Mobilitätsdach vereinen. »MHP ist, wenn man nur eine Set-Top-Box braucht und damit alle Programme und neuen Dienste empfangen kann«, fasst MHP-Veteran Dr. Georg Lütteke (Philips) den Trend der digitalen Fernsehzukunft zusammen.

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