Branche, Top-Story: 15.12.2001

When the time is right

Im Interview mit www.film-tv-video.de gab Paul Lypaczewski, der Executive Vice President von Discreet interessante Einschätzungen und Bewertungen aktueller Branchenentwicklungen ab. Wenn es um konkrete Aussagen zu zukünftigen Produktentwicklungen ging, hielt sich der Firmen-Stratege eher bedeckt, aber dennoch lässt sich aus den Antworten auch in Bezug auf dieses Thema etliches herauslesen.

? Discreets Produktpalette ist in den vergangenen Jahren immer weiter gewachsen. Manche Kritiker sind der Meinung, dass der Spagat zwischen Consumer-Produkten auf der einen und High-End-Produkten auf der anderen Seite nicht auf Dauer machbar ist. Was sagen Sie diesen Leuten?

Paul Lypaczewski: Ich nehme diese Bedenken ernst. Das Wichtigste ist jedoch, dass das jeweilige Produkte die richtigen Personen anspricht, und ihnen jeweils das bietet, was sie suchen. Ein Inferno-Kunde und ein Combustion-Kunde werden ganz unterschiedliche Erfahrungen machen, ganz einfach, weil sie sich mit der Lösung ganz unterschiedlicher Probleme befassen. Aber es ist ja durchaus so, dass man auch bei den High-End-Kunden auf Inferno und gleichzeitig auf Combustion und Max, Backdraft und eine Reihe von anderen Tools trifft. Der Grund für unser breit gefächertes Produktangebot ist, dass mit ihm Dinge, die wir wirklich gut beherrschen, auf ein breites Spektrum an User-Erfahrungen angewandt werden können.
Wir beschränken uns auf zwei wichtige Themen, nämlich auf die Kreativität einerseits und die Produktivität andererseits. Ohne Kreativität tut sich überhaupt nichts. Vieles von dem, was wir in Produkte umsetzen, hat einen künstlerischen Anspruch. Die Produktivität ist jedoch nicht minder wichtig, da unsere Kunden Geld verdienen wollen. Wenn sie nicht produktiv arbeiten können und daher keinen Erfolg haben, haben wir es versäumt, auf ein sehr wichtiges Bedürfnis unserer Kunden einzugehen.

? Wenn Sie sich die Entwicklung Ihres Produktangebots ansehen, fällt auf, dass es stark erweitert wurde. Wie schaffen Sie es, die Produkte voneinander abzugrenzen?

Paul Lypaczewski: Es gibt aufgrund der unterschiedlichen Produktzyklen immer Zeiten, in denen die Differenzierung geringer ist. Nehmen Sie Smoke HD und Fire: Smoke HD bietet dem User sehr viel, aber man könnte fragen: Wo ist der Unterschied zu Fire? Aber wenn man sich ansieht, was wir mit Fire auf der IBC2001 gemacht haben, wird deutlich, dass sich dieses High-End-Produkt weiterentwickelt hat, und dass die Differenzierung sehr wohl da ist.
Normalerweise sagen unsere Kunden: Wir haben das System gekauft und es hat unsere kühnsten Erwartungen erfüllt – in den ersten drei Monaten. Und dann stellen sie fest, dass sie mehr brauchen oder wollen. Die Ansprüche unserer Kunden treiben uns ständig weiter an. Im Ergebnis werden sich die Produkte ständig weiterentwickeln.

? Die Kunden wollen immer mehr. Wohin wird das führen?

Paul Lypaczewski: Es ist schwierig, eine Aussage darüber zu treffen, was uns als nächstes Problem bevorsteht, aber lassen Sie mich kurz in die Vergangenheit zurückblicken. Als »Jurassic Park« mit sieben Minuten CGI im gesamten Film in den Kinos anlief, war das ein großes Ereignis. In »Dinosaurs« lag der Anteil von CGI bereits bei 90 Minuten. Es fängt immer damit an, dass jemand eine Grenze überschreitet und damit beweist, dass das Unmögliche möglich gemacht werden kann. Und dann wird dieser Zustand zum Status Quo und somit zur Grenze, die man überschreiten muss, um in dieser Branche bestehen zu können.
Auch in traditionellen Märkten, sei es nun Film oder Video, wird der Content diese Entwicklung weiterhin vorantreiben.
Im Online-Geschäft unterliegt die Auffassung darüber, was als Content akzeptiert wird, einem fundamentalem Wandel. Letztendlich entscheidet die Verwendung von medialem Content darüber, wie Leute miteinander kommunizieren. Jeder wird zum Broadcaster, das heißt es liegen große Möglichkeiten vor uns.

? Discreet hat vor wenigen Monaten wichtige Assets von Media 100 gekauft. Wie sollen diese Produkte in den Portfolio von Discreet integriert werden, mit welchen konkreten Schritten ist zu rechnen?

Paul Lypaczewski: Vor kurzem habe ich einige unserer High-End-Kunden in Frankreich besucht und wir haben darüber gesprochen, wie wir die Streaming-Produkte in unsere Produktlinie aufnehmen wollen. Einer der Gründe, warum diese Kunden bisher oft unzufrieden waren, lag im fehlenden Kompromiss zwischen der Qualität ihrer Produktionen einerseits und dem, wie es aussieht, wenn es dann im Netz steht. Durch die Aufnahme von Streaming-Produkten in unser Portfolio können wir sicherstellen, dass unsere Kunden auch dann nicht die Kontrolle über die kreative Seite ihrer Arbeit verlieren, wenn der Content im Internet steht.
Auch beim Transcoding kann man einige kreative Entscheidungen treffen und einige der dafür nötigen Funktionen werden in die Content-Creation-Produkte eingehen, während andere sich zu zusätzlichen Features in unseren Streaming-Lösungen entwickeln werden.

? Wird Cleaner also in andere Produkte integriert werden oder bleibt dies ein eigenständiges Produkt?

Paul Lypaczewski: Cleaner und die Streaming-Produkte bleiben eigenständige Produkte und erhalten Schnittstellen zu unseren anderen Produkten. Unsere Cleaner-Kunden können ganz sicher sein, dass wir uns auf dem Markt stark engagieren und dass wir auch weiterhin daran arbeiten, die bereits bestehenden Lösungen noch weiter zu verbessern. So wird es einen zeitnaheren Workflow geben sowie eine engere Einbindung in den Streaming- und Produktionsprozess.

? Wie bewertet Discreet das Verhältnis zu Pinnacle? Edit wird für die Targa-Plattform optimiert, aber mit dem Kauf von Fast hat Pinnacle nun eine eigene Software, die in Konkurrenz zu Edit steht.

Paul Lypaczewski: Unsere Beziehung steckt noch in den Anfängen, aber Pinnacle ist ein sehr guter Partner. Beziehungen können viele Facetten haben: Es gibt Zeiten, in denen Leute zusammen arbeiten und andere, in denen man sich plötzlich als Konkurrent gegenübersteht. So ist nun mal das Geschäft und man muss abwarten, was die Zukunft bringt. Wettbewerb ist wichtig, denn er funktioniert als Antrieb für die Produkte. Wenn Sie sich die Targa3000 mit Edit ansehen, dann sehen Sie ein tolles Produkt. Ich denke, da haben wir eine Grundlage für eine gute Beziehung. Wir werden sehen, wohin Blue geht.

? Aber Pinnacle verfolgt einen sehr aggressiven Marktansatz und jetzt hat das Unternehmen auch noch eine eigene Editing-Software im Programm. Denken Sie denn, dass Pinnacle ein Interesse daran hat, anderen Software-Entwicklern die gleiche Unterstützung für das Targa-Board zu geben, wie den eigenen?

Paul Lypaczewski: Soweit ich weiß, wurde Blue nicht für das Targa-Board entwickelt, aber ich denke, dass es im Interesse von Pinnacle liegt, dies zu ändern, da deren Kunden ein Interesse daran haben werden. Pinnacle hat sehr viel Zeit in Targa investiert und es würde mich sehr wundern, wenn sie dieses Board nicht in Verbindung mit Fast-Software verwenden würden.

? Was wird mit Matrox geschehen? Matrox war schließlich ganz sicher nicht sehr glücklich über Discreets Entscheidung für Pinnacles Targa3000?

Paul Lypaczewski: Die Leute bei Matrox waren natürlich enttäuscht. Matrox ist ein hervorragendes Unternehmen und wir haben immer noch ein sehr gutes Verhältnis. Die Unterstützung der Targa3000 bedeutete nicht gleichzeitig das Ende der Beziehung mit Matrox. Aber als die aktuelle Entscheidung anstand, war Targa die beste Hardware-Konfiguration für Edit. Aber die Entwicklung geht natürlich auch bei Matrox weiter. Wenn Matrox Karten anbietet, die ähnliche Funktionalität aufweisen, sind wir selbstverständlich interessiert.

? Die Entwicklung von SGI ist für viele Anwender ein Unsicherheitsfaktor in der Investitionsplanung. Wie geht Discreet mit diesem Problem um, was sagen Sie den Unix-Kunden? Ist die NT- oder Linux-Plattform auf absehbare Zeit eine Alternative?

Paul Lypaczewski: Es besteht kein Zweifel daran, dass sich SGI momentan großen Herausforderungen stellen muss. Wir haben immer eng mit SGI zusammengearbeitet und das wird auch in Zukunft so bleiben. Wenn Sie sich den erfolgreichen Launch von RX3000 und Octane 2 ansehen, spricht das für die Vorteile, die diese bieten. Denn SGI hat sich immer auf das Systems Engineering verstanden, das man für die grafische Arbeit benötigt. Dinge wie Speicher- oder Busarchitekturen, Betriebssysteme, Echtzeit-Video-I/O – das sind seit jeher die Stärken von SGI.
Das soll natürlich nicht bedeuten, dass es keine Alternativen gäbe. Letztlich bemühen wir uns immer darum, Lösungen für die Plattform zu schaffen, die unseren Kunden ein Höchstmaß an Mehrwert und Produktivität verschafft. Es gibt ein breites Spektrum an Lösungen und wir stellen bereits heute ein breites Spektrum an Lösungen zur Verfügung, sei es nun SGI, Wintel oder Apple.

? Wann werden Ihre High-End-Systeme auch auf anderen Plattformen zur Verfügung stehen?

Paul Lypaczewski: Sobald die Zeit dafür reif ist.

? Und wann könnte das sein?

Paul Lypaczewski: Es ist noch nicht an der Zeit, darüber zu sprechen. Aber es gibt keinen Zweifel, dass auch andere Plattformen immer mehr Power haben, so dass wir ganz sicher irgendwann Lösungen herstellen werden, die auf diese Plattformen zugeschnitten sind.

? Etliche Anwender und Branchenexperten sind der Meinung, dass jetzt der Zeitpunkt erreicht ist, an dem sich auch die High-End-Palette von Discreet auf die Windows-Welt einstellen sollte, so wie auch andere Hersteller das tun. Selbst Quantel, jahrelang für seine »Closed Boxes« gescholten, setzt mit iQ auf Windows.

Paul Lypaczewski: Man muss für jeden Job das passende Tool einsetzen. Der Grund, warum Inferno zum Branchenstandard geworden ist, lässt sich am besten mit den Worten eines unserer Kunden beschreiben: »If you can think it, you can do it.« Dies ist die Art von Produktivität, die unsere Kunden erwarten.
Letztlich ist es relativ einfach, High-End-Features zu nehmen und diese in eine Low-End-Box zu portieren. Viel schwieriger ist es aber, sicherzustellen, dass die Interaktivität und der Echtzeit-Workflow auch dann noch funktionieren. Und genau das ist es, was unsere Kunden erwarten. Es gibt bereits wintel-basierte Systeme, auf denen HD-Arbeiten durchgeführt werden können, aber das ist momentan etwas für Leute, die sehr viel Geduld mitbringen.

? Der Markt wird derzeit generell schwächer eingeschätzt. Teilen Sie diese Einschätzung? Welche Konsequenzen hat das, wie wird sich diese Situation weiterentwickeln?

Paul Lypaczewski: Der Markt ist im Moment sehr hart, man muss sich ja nur einmal unsere Ergebnisse vom zweiten Quartal ansehen. Es gibt eine sehr treffende Redensart im Englischen: »Während eines Tornados kann sogar ein Truthahn fliegen.« Der Tornado wird aber wieder schwächer werden und dann werden wir lautstarke Bruchlandungen von einer ganzen Reihe Truthähne erleben. In diesen Zeiten stellt sich also heraus, welche Unternehmen stark genug sind.

? Gerade im High-End-Markt tauchen viele neue Firmen wie etwa 5D oder Nothing Real mit interessanten Ansätzen und Produkten auf. Wie beurteilen Sie deren Konzepte, und wie viele konkurrierende Systeme verträgt der High-End-Postproduction-Markt auf Dauer?

Paul Lypaczewski: Es geht hier um einen gesunden Markt und es wird immer auch neue Player geben. Wir haben uns als Unternehmen erwiesen, das über nachhaltige Stärke verfügt und der einzige Weg, diesen Zustand zu sichern, besteht darin, sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen.

? Sehen Sie für Discreet einen Bedarf nach einer Erweiterung Ihres Produktportfolios durch Übernahmen?

Paul Lypaczewski: Die Übernahme ist nicht das Ziel, aber es wird Zeiten geben, wo sich Lösungen anbieten und wir werden diese übernehmen, so wie wir dies etwa mit den Cleaner-Produkten gemacht haben. Aber man darf nicht vergessen, dass Fusionen immer eine Menge Arbeit mit sich bringen. Die Unternehmenskultur etwa ist ein wichtiges Thema. Discreet selbst war das Ergebnis zweier Fusionen, daher wissen wir das.

? Ist das Content Management (CMS) ein Gebiet, in dem Sie ihre Aktivitäten verstärken wollen?

Paul Lypaczewski: Sie stellen eine Frage über ein sehr spezifisches Produkt und wir geben keine Informationen über Produkte heraus, bevor diese fertiggestellt sind. Ja, Content-Management ist interessant, aber man muss sehen, ob es in unser Portfolio passt.

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