Branche, Top-Story: 13.01.2006

Sony United?

Mit Naomi Climer und David Bush beantworteten zwei Führungskräfte aus dem Profibereich von Sony die Fragen von www.film-tv-video.de zu verschiedenen aktuellen Themen: Fragen zu Strategie und Zukunftsplänen des Unternehmens, aber auch zu aktuellen Produkten und Gerüchten. (PDF-Download einer druckfreundlichen Version am Textende.)

Welche Veränderungen kennzeichnen den Markt in der jüngsten Zeit und wie reagiert Sony ganz generell gesehen darauf?

Naomi Climer: Besonders im vergangenen Jahr gab es sehr viele Veränderungen im Markt. Für uns lagen einige der wichtigsten Aktivitäten im Bereich HD. Howard Stringer, unser erst kürzlich neu ernannter CEO, hat HD als den wichtigsten Bereich für Sony als Ganzes gekennzeichnet. HD schlägt die Brücke zwischen meinem Bereich und der Consumer-TV-Sparte sowie Sony Pictures und dem Playstation-Bereich — HD verbindet diese Sony-Bereiche in einer Art und Weise, wie sie nie zuvor verbunden waren. HD ist also ein extrem wichtiger Aspekt für das, was wir tun, nicht nur für die Broadcast-Industrie, sondern für Sony insgesamt.

Die zweite Sache, auf die wir uns fokussieren, ist die Verwertung von Content. Ich denke der Content ist nach wie vor die wichtigste Sache überhaupt und zwar ganz gleichgültig, ob man über IPTV redet, über Mobile-TV oder die Nutzung eines bestehenden Archivs für einen neuen TV-Kanal. Die Verwertung von Content ist eine wichtige Angelegenheit für praktisch alle Broadcaster. Dieses Thema greifen wir besonders durch vernetzte Produktion, durch neue Werkzeuge und die Zusammenarbeit mit neuen Playern wie etwa den Telcos auf.

Ein dritter Aspekt ist, dass wir mit interessanten neuen Kundengruppen zusammenarbeiten, was besonders im Bereich Professional Services zu Tage tritt. Heute können sich Hochzeitsfilmer professionelles Equipment kaufen, wenn man etwa an HDV-Camcorder denkt. Dadurch ist am unteren Ende des Marktes für uns plötzlich ein sehr Ernst zu nehmendes, lebhaftes Marktsegment entstanden, das wesentlich höhere Stückzahlen ermöglicht. Um darauf reagieren zu können, müssen wir als Sony ein breites Sortiment vom extremen High-End bis hinunter ans Low-End anbieten können. Es bedeutet natürlich eine recht interessante Herausforderung für Sony, diese große Bandbreite von Equipment verfügbar zu haben, aber dadurch hat sich eben auch diese breitere Kundenbasis eröffnet.

Die genannten Beispiele und vieles weitere werden durch den Slogan verbunden, den unser neuer CEO für das Unternehmen festgelegt hat: »Sony united«. Bisher war es eher selten gelungen, die Stärken der verschiedenen Bereiche von Sony zusammen zu ziehen. Wenn wir es aber schaffen, alle Elemente zu kombinieren, die innerhalb von Sony bereitstehen, sind wir fast unschlagbar.

Das ist schwerer zu erreichen, als man vielleicht denken könnte, aber ausgehend von unserem neuen CEO wurde dies als wichtiger Trend und Gemeinschaftsaufgabe innerhalb von Sony erkannt.

David Bush: Mit Howard Stringer hat Sony erstmals einen CEO, der nicht aus dem Elektronikherstellerbereich kommt. Er war vielmehr selbst Broadcaster, arbeitete lange bei CBS, ist gelernter Journalist. Bei Sony war er schließlich für die Content-Abteilungen in den USA verantwortlich. Aus dieser Richtung kommend, ist er nun zum Kopf der ganzen Gruppe geworden. Deshalb ist ihm natürlich die Bedeutung und der Wert dieser anderen Abteilungen von Sony sehr bewusst und er ist sehr leidenschaftlich darin, die einzelnen Bereiche enger zusammenzuführen und zu etwas zu formen, was für die Endkunden eine Bedeutung und eine klare Kontur hat. Er hat eine klare Vorstellung davon, was »Sony united« bedeuten kann, dahinter steckt viel mehr, als nur ein firmeninternes Schlagwort.

Sie haben HD als wichtigen Fokuspunkt in der Strategie von Sony benannt. Momentan ist aber HD für die Mehrzahl der Anwender aller Marktsegmente zumindest in Europa noch eher Zukunft als Gegenwart. Werden die Hersteller HD und SD in dieser Situation nicht noch über einen längeren Zeitraum parallel fortführen müssen? Und wird das nicht sehr schwer sein? Wenn es um Entwicklung und neue Produkte geht, stellt sich doch die Frage: Wie lange werden HD und SD auf der Herstellerseite koexistieren können?

Naomi Climer: Das ist eine schwierige Frage. Sie haben vollkommen recht: Wenn wir aus Europa mit Sony in Japan sprechen, ist es so, dass wir hier viele Kunden haben, die weiterhin gern SD-Produkte kaufen und davon ausgehen, das auch noch für einige Zeit weiterhin so zu tun. Aus der japanischen Perspektive, wenn man also auf den Weltmarkt blickt, sind die HD-Verkaufszahlen heute schon größer als die SD-Verkaufszahlen. In diese Richtung bewegt sich also alles. Dann gibt es die amerikanische Lobby, die Japan-Lobby und nun wird auch die China-Lobby größer. Man muss also klar sehen: In Forschung und Entwicklung steckt Sony derzeit sehr viele seiner Anstrengungen in HD. Dennoch kommen auch noch neue SD-Produkte heraus.

Aber ich denke Sie haben Recht: Ab einem bestimmten Punkt wird die SD-Entwicklung wahrscheinlich auslaufen. Das ist noch nicht passiert und es ist unser Ziel, hierbei einen Zeitpunkt zu erreichen, an dem HD-Equipment den Preisbereich von SD-Equipment erreicht hat. Dann werden nämlich auch Broadcaster, die eigentlich nicht so wild auf HD sind, quasi automatisch HD-Equipment kaufen, wenn sie in neues Equipment investieren — denn warum sollten sie es dann nicht tun? Ich denke also, es wird noch eine lange Reise für uns werden, während der wir beides Seite an Seite weiterführen werden — solange die Nachfrage das rechtfertigt. Aber wir wollen es natürlich auch für alle Anwender ausreichend leicht machen zu wechseln, so dass an irgendeinem Punkt in der Zukunft, wenn SD ausläuft, HD dort angekommen ist. Derzeit findet aber unverändert auch im Bereich SD Forschung und Entwicklung statt.

Werden also zukünftig noch neue SD-Produkte von Sony auf den Markt kommen?

Naomi Climer: Ja, erst zur IBC haben wir ja auch neue SD-Produkte vorgestellt.

David Bush: Wir haben einige SD-Produktlinien aufgefrischt, wofür es verschiedene Gründe gab. Ein Grund für diese Aktivitäten sind neue Umweltrichtlinien der EU, die uns tatsächlich veranlasst haben, diese Frage sehr genau zu prüfen. Wir sahen uns gezwungen, einige der wichtigsten Modelle unserer existierenden Produktline zu re-designen. Das rief natürlich eine interne Diskussion hervor, ob es derzeit überhaupt wirtschaftlich sinnvoll ist, eine SD-Maschine nachzuentwickeln und zu re-designen. Das Ergebnis dieser Diskussion haben wir zur vergangenen IBC klar und deutlich dargestellt: Beinahe jedes Modell unserer SD-Videorecorder-Baureihe wurde in einer neuen Version dargestellt, die überarbeitet und modernisiert wurde, sowie »green-friendly« ist. Dadurch können wir diese Geräte auch dann weiter anbieten, wenn die neuen Umweltgesetze gültig werden.

Aber natürlich ist das nicht nur das Ergebnis einer europäischen, sondern einer weltweiten Diskussion darüber, wie der Business-Case für SD-Produkte aussehen, wie es hier weiter gehen kann. Ich denke, solange es noch eine nennenswerte Nachfrage nach SD-Produkten gibt, werden wir diese auch weiter produzieren. Selbstverständlich werden wir auch ganz sicher die schon getätigten SD-Investitionen weiter unterstützen. Wie viele Mittel innerhalb von Sony in die Entwicklung zukünftiger SD-Modelle fließen, hängt letztlich von der Nachfrage ab.

Wie lange es für reine SD-Produkte noch Nachfrage geben wird, das weiß natürlich keiner so genau. Meine Prognose ist, dass es hier ab dann keine nennenswerte Nachfrage mehr geben wird, sobald die Preise von HD-Equipment sich denen von SD-Equipment annähern, oder sogar unter deren Niveau sinken — denn soviel ist sicher: Der Tag wird kommen, an dem HD-Geräte für die Hersteller kosteneffektiver zu produzieren sind als SD-Geräte, allein schon wegen der dann höheren Stückzahlen. Ich denke, das wird sogar in gar nicht all zu ferner Zukunft der Fall sein. SD ist aber mindestens für ein paar Jahre noch ein sicheres Geschäft.

Naomi Climer: Dem kann ich nur zustimmen.

Wie steht es um die Formate, die Sony derzeit unterstützt? Derzeit gibt es ein weit verbreitetes Gerücht, wonach Sony die Produktion von bandbasiertem IMX-Equipment einstellen werde.

Naomi Climer: Ja, dieses Gerücht ist mir auch schon zu Ohren gekommen, aber es ist absolut unwahr. Es gibt aktuell keinerlei Pläne, IMX einzustellen. Ich sehe auch eine Stärke darin, dass Sony viele Formate zu bieten hat, denn nur so kann man die unterschiedlichen Anforderungen der Kunden befriedigen. Wer News produziert, der braucht etwas anderes, als einer der Fiktion produziert.

Gilt das Gleiche auch für Betacam SX?

Naomi Climer: Ja.

David Bush: Korrekt, ja. Soweit ich das sehe, unterstützen wir ohnehin nur ein Format aus der Betacam-Familie nicht mehr in allen Aspekten: Sony produziert keine analogen Betacam-SP-Recorder mehr. Aber selbst in diesem Fall wird das Format noch eingeschränkt weiter unterstützt, da es eine Reihe von aktuell verfügbaren IMX- und Beta-SX-Geräten gibt, die Betacam SP weiterhin abspielen können. Zu IMX, Betacam SX und Digital Betacam können wir klar sagen, dass es keine Pläne gibt, diese Formate einzustellen.

Viele Leute waren überrascht, dass Sony gerade auch die Digital-Betacam-Baureihe noch einmal aufgefrischt hat.

David Bush: Auslöser waren die Gründe, die ich schon genannt habe, nämlich dass wir gezwungen waren, Veränderungen vorzunehmen, wenn wir innerhalb der EU weiterhin Geräte in diesem Format anbieten wollten. Als wir uns für das Re-Design entschlossen hatten, war es natürlich auch sinnvoll, einige zusätzliche Features zu integrieren. Wenn man als Hersteller schon die Kosten auf sich nimmt, eine Maschine nachzuentwickeln, warum sollte man sie dann nicht gleich updaten und mit aktuellen Features auffrischen? Es gab letztlich keine dramatischen Veränderungen im Digital-Betacam-Line-Up, aber es gab doch einige Modernisierungen und Verbesserungen, die wir umgesetzt haben.

Naomi Climer: Digi-Beta ist eben immer noch ein sehr beliebtes Format, und es erreicht immer noch gute Verkaufszahlen. Natürlich stellen wir uns eine Zukunft vor, in der die typischen Digi-Beta-Anwender von früher, nun in Richtung HDCAM SR migrieren. Gegenwärtig ist es aber eindeutig so, das sich Digital Betacam immer noch sehr gut verkauft. Und solange es diese Nachfrage gibt, ist es sinnvoll, weiterhin daran zu arbeiten.

Liegt der aktuelle Erfolg von Digi-Beta vielleicht auch darin begründet, dass dies das letzte Format war, das sich auf breiter Basis etablieren konnte, so etwas wie der »Gold Standard« von SD-Video: robust und mit einer milden Kompression, weit verbreitet, allgemein bekannt? Verglichen mit später eingeführten Formaten läuft Digital Betacam im Gebrauchtgerätemarkt ebenso wie im Rental-Bereich besser als andere Formate.

David Bush: Für den deutschen Markt deckt sich das mit meinen Informationen: Es gibt hier einen starken Rental-Markt für Digi-Beta. Dennoch sehen wir nun auf unserer Seite einen deutlichen Übergang zum Kauf von HD-Equipment. Im Jahr 2006 werden wir voraussichtlich hier in Deutschland mehr HD als SD verkaufen. HDCAM ist dabei — wenn man so will — so etwas wie der Nachfolger von Digital Betacam — natürlich für HD-Applikationen. Aber Digital Betacam ist, wie schon gesagt, immer noch sehr stark. Es gibt diesen starken Second-Hand-Markt dafür und es gibt den starken Rental-Markt dafür. Wir waren ehrlich gesagt selbst ziemlich überrascht, wie gut sich das gehalten hat. Aber ich denke so ganz untypisch ist die Situation, die wir hier in Deutschland haben, auch im europaweiten Vergleich gar nicht.

Naomi Climer: Nein, ganz und gar nicht. Wir haben schon sehr viel HDCAM verkauft und unser Tipp, was der nächste De-facto-Standard sein könnte, lautet natürlich HDCAM und HDCAM SR am High-End. Aber ich werde etwa auch oft gefragt, wie lange es denn meiner Meinung nach noch Band geben werde — eine Frage, die man nicht wirklich beantworten kann. Für eine ziemlich lange Zeit, wäre vielleicht eine halbwegs sichere und unverbindliche Antwort. Und Digital Betacam gehört genau in diesen Themenkomplex hinein, als eines der langlebigsten Bandformate überhaupt, und einfach weil es so weit verbreitet ist.

Betrachtet man XDCAM und auch P2, so spielen diese Formate etwa im Rental-Bereich derzeit noch so gut wie keine Rolle. Man kann sich sogar des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass XDCAM außerhalb des WDR hier in Köln in Deutschland kaum im Einsatz ist.

David Bush: Der WDR ist bei weitem nicht der einzige XDCAM-Anwender in Deutschland, aber er ist bei weitem der größte. Ich denke wir alle sehen den Trend in Richtung Non-Tape-Media und erwarten, dass diese Entwicklung langfristig die Oberhand in der Produktion und Akquisition erringen wird.

Soweit sind wir aber noch lange nicht und ich denke, wir befinden uns hier immer noch in einer frühen Lernphase dessen, welche Möglichkeiten sich hier eröffnen. Es handelt sich hier eben nicht nur um einen Technologiewechsel, sondern auch um einen Wechsel bei den Arbeitsabläufen und Ressourcen, die man in der Produktion braucht. Es geht auch um das Praxiswissen und Knowhow der Leute, die mit dem neuen Equipment arbeiten.

Es ist dabei interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Anwender bislang diese Technologie angenommen haben: Manche unserer Kunden haben mit dem Wechsel zur neuen Technologie auch unmittelbar ihre Arbeitsabläufe verändert. Bei größeren Unternehmen, zu denen auch der WDR gehört, ist es dagegen oft so, dass man schrittweise vorgeht, und nicht sofort mit einem Schritt alles umkrempelt, weil das auch gar nicht möglich wäre — man geht pragmatischer vor. Meist wird zunächst einfach die Technologie ersetzt, ohne dramatische Änderungen in den Arbeitsabläufen. Natürlich gibt es aber auch dabei schon ein paar sofort wirksame Vorteile, wie ein nonlineares Aufzeichnungsmedium sie einfach automatisch mitbringt. Um die tiefer gehende Funktionalität nutzen zu können, wie sie etwa das Proxy-Editing mit XDCAM darstellt, sind dagegen wirklich tief greifende Einschnitte in die Arbeitsabläufe erforderlich. So etwas wird dann oft erst in einer zweiten Phase der Implementierung genutzt.

Generell gesagt, befinden wir uns immer noch in einer frühen Lernphase, die Bewegtbildindustrie macht gerade ihre ersten Erfahrungen mit file-basierten Akquisitionsmedien und den Vorteilen, die diese mit sich bringen. Und es gibt dabei eben verschiedene Alternativen, was in einem gewissen Umfang zu einer »Wait-and-See«-Haltung führt.

Naomi Climer: Hierbei unterscheidet sich die Situation in Deutschland etwas von der in anderen Ländern, wo XDCAM schon auf breiter Basis eingesetzt wird. Polen ist etwa ein Beispiel dafür, dort haben schon zahlreiche Broadcaster XDCAM im Einsatz. So gibt es hierbei von Land zu Land ganz deutliche Unterschiede: In Nordeuropa hat ein Händler sogar schon einhundert XDCAM-HD-Geräte geordert, bevor er die Geräte überhaupt gesehen hatte. Dort ist man von XDCAM so überzeugt, dass man davon ausgeht, dass der Rental-Markt sehr auf dieses Format setzen wird, sobald die Geräte verfügbar werden.

Es gibt also deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern und der dort vorhandenen Bereitschaft für die bandlose Produktion.

David Bush: Dabei dürfen wir auch nicht vergessen, dass deutsche Broadcaster in großem Umfang in IMX investiert haben und diese Investitionen liegen noch gar nicht so lange zurück. Viele der großen Anwender in Deutschland befinden sich daher in einer anderen Phase des Investitionszyklus und werden noch etwas warten, bevor sie in neue Technologien investieren. Der WDR hat, wie Sie sicher wissen, nicht in größerem Umfang in IMX investiert und konnte deshalb als erster großer Anwender in Deutschland direkt auf XDCAM wechseln. Somit gibt es in der Tat nicht nur von Land zu Land signifikante Unterschiede, sondern sogar von Broadcaster zu Broadcaster.

Glauben Sie nicht, dass es aus Kundensicht sehr viel Sinn ergibt, die beiden Trends in Richtung bandloser Akquisition und in Richtung HD zu verschmelzen: Warum nicht beides mit nur einem Schritt umsetzen? Für Sony-Kunden bedeutet das doch letztlich, auf die Verfügbarkeit vom XDCAM HD zu warten.

David Bush: Dazu lässt sich Verschiedenes sagen: Die Produktlinien von XDCAM und XDCAM HD werden sich nicht nur dadurch unterscheiden, dass es sich um SD- und HD-Geräte handeln wird. Es wird grundlegende, tiefer gehende Unterschiede im Produktdesign geben. Die erste Generation von XDCAM-HD-Produkten zielt eigentlich auf Kunden, die derzeit mit DVCAM arbeiten. Es wird Unterschiede in der Ausstattung geben.

Aber natürlich gibt es auch Kunden, die es einfach so sehen, dass HD nun auch auf XDCAM bandlos verfügbar wird und die auf diese Gerätegeneration warten wollen — was übrigens nicht mehr so lange dauern wird, schon im Umfeld der kommenden NAB werden solche Geräte verfügbar sein. Ich will also nicht bestreiten, dass es Kunden gibt, die sich darauf vorbereiten, mit XDCAM HD gleichzeitig bandlos und HD-fahig zu werden. Die Wait-and-See-Phase wird hier also nicht lang anhalten, denn die zeitliche Lücke, bis XDCAM HD verfügbar wird, ist nicht groß.

Einer der aus meiner Sicht wichtigsten und auch kritischen Unterschiede im Produktdesign der schon angekündigten XDCAM-HD-Geräte zu den schon angebotenen XDCAM-Geräten ist der Wechsel in der Bildwandlergröße. Wieso bietet Sony den bandlosen HD-Camcorder mit 1/2-Zoll-Sensoren an, während die SD-XDCAM-Camcorder mit 2/3-Zoll-CCDs bestückt sind? Weil es heute so gut wie keine 1/2-Zoll-HD-Objektive im Markt gibt —weder im Kauf-, noch im Rental-Bereich — ist das problematisch und könnte die Verbreitung und Marktakzeptanz von XDCAM HD behindern. Was ist der Hintergrund hierbei und wird es auch einen XDCAM-HD-Camcorder mit 2/3-Zoll-Sensoren geben?

Naomi Climer: Diese Thematik wird natürlich auch in unserer Entwicklungsabteilung in Japan sehr gut verstanden. Sicher kennen Sie das Diagramm der HD-Formate von Sony, beginnend mit HDV bis hinauf zu HDCAM SR. Dieses Diagramm verdeutlicht auch die Verknüpfung von Preis und Qualität innerhalb des Line-Ups. XDCAM HD ist in diesem Schaubild eben nicht am High-End positioniert, sondern als kosteneffektives, robustes Format im Mittelfeld.

Wann immer Sony ein Gerät in dieser Kategorie vorstellt, ist es eigentlich unvermeidlich, dass ein paar Leute sagen, es wäre geradezu fantastisch, wenn das Gerät auch noch dieses eine zusätzliche Feature hätte. Würde man das immer umsetzen, würden die Herstellungskosten immer weiter steigen. Man hätte dann zwar irgendwann einen XDCAM-Camcorder der alles hätte, was man sich wünscht, aber dann taucht die Frage auf, warum man für so viel Geld XDCAM kaufen sollte, wenn man dafür auch HDCAM bekommen kann, und so weiter.

XDCAM HD wird zumindest in der ersten Gerätegeneration innerhalb unserer HD-Palette vielleicht sogar etwas weiter in Richtung HDV positioniert sein, als in Richtung HDCAM. Erwarte ich, dass wir später auch XDCAM-HD-Geräte auf den Markt bringen, die höher in der Produktlinie positioniert werden? Ja, ich denke schon.

Die von Ihnen angesprochene Thematik ist uns sehr bewusst und wir werden die damit verbundenen Fragen lösen, aber bei den ersten XDCAM-HD-Geräten, die schon ab März oder April produziert werden, ist kein 2/3-Zoll-Camcorder dabei.

David Bush: Die erste Gerätegeneration von XDCAM HD stellt einen weiteren Schritt hin zum Aufbau eines vollständigen XDCAM-Line-Ups dar. Am anderen Ende der Palette werden wir ständig gefragt: Wann können wir einen kleinen 2.000-Euro-Palmcorder haben, der die XDCAM-Technologie nutzt?

Naomi Climer: Ja, genau; XDCAM-Mini sozusagen.

David Bush: Und es gibt viele Gründe, über so etwas nachzudenken — und wir tun das auch. Aber irgendwie muss man Prioritäten setzen, wenn es darum geht, das nächste neue Produkt zur Serienreife zu bringen. Natürlich findet hierüber eine permanente Diskussion statt. Ich bin mir aber sicher, dass wir dieses Line-Up in verschiedene Richtungen ausbauen und weiterentwickeln werden.

Ich denke aber, dass die Angelegenheit mit der Sensorgröße und den Objektiven beim XDCAM-HD-Camcorder doch etwas anders gelagert ist, als das, was Sie beide gerade als üblichen Fall bei der Vorstellung neuer Produkte beschrieben haben. Überlagert wird diese Thematik durch die Preisentwicklung bei Kameras und Objektiven: Während Kameras und Camcorder in den vergangenen Jahren bei weiterhin steigender Bildqualität immer billiger wurden, konnten und können die Objektive bei dieser Entwicklung nicht mithalten. Die Anwender müssen also für das Linsensystem einen immer höheren Anteil des gesamten Systempreises aufwenden. Genau das haben etliche Anwender und viele Rental-Firmen getan und damit schon relativ große Teile ihrer Investitionsmittel in 2/3-Zoll-HD-Objektive gesteckt. Wenn nun ein HD-Camcorder auf den Markt kommt, an dem sich so gut wie alle im Markt befindlichen HD-Objektive nicht direkt verwenden lassen, kann dies schon auf ein gewisses Unverständnis stoßen.

Naomi Climer: Ja, das stimmt sicherlich.

David Bush: Ja, derzeit trifft das sicher zu, aber wir arbeiten daran.

Da wir schon über verschiedene Speichermedien gesprochen haben: Was ist Sonys Sichtweise zum Thema Solid-State-Memory, also der Aufzeichnung auf Festspeichermedien. Wird es einen solchen Camcorder für den Profimarkt in absehbarer Zeit von Sony geben?

Naomi Climer: Ich denke, das ist ein interessantes Thema, weil viele Broadcaster sagen, die Zukunft sei »media free« — also nicht nur »tape free«, sondern »media free«. Und ich persönlich stimme dem vollständig zu: Als Zielrichtung für die Zukunft halte ich das für richtig. Die Frage, die ich mir dabei stelle lautet aber: Sind wir dafür heute schon bereit?

Was David vorher im Zusammenhang mit der Änderung von Arbeitsabläufen beschrieben hat, spielt dabei eine zentrale Rolle. Als ich bei der BBC arbeitete und wir nach und nach anfingen, Server im Sendebetrieb einzusetzen, stießen wir dabei auf allerlei psychologische Problemfelder, etwa dass man das Material nicht anfassen und wirklich physisch sehen konnte. Wenn man etwas nicht finden konnte, war man plötzlich auf eine einzelne Person angewiesen, die auf einer Tastatur herumtippte, anstatt wie bisher konkret selbst danach suchen zu können. Es gab also zahllose Dinge jenseits der reinen Technologie, die eine große Rolle spielten.

Nun, wo wir uns in Richtung HD bewegen, wächst zudem auch der Speicherbedarf noch einmal massiv an. Es geht um riesige Bandbreiten und riesige Datenraten.

Meine persönliche Sicht ist, dass derzeit vielleicht nicht wirklich der richtige Moment dafür ist, auf Festspeicher zu wechseln. Ich denke wir sind als Branche insgesamt einfach noch nicht ganz so weit. Denke ich, dass es das richtige Szenario für die spätere Zukunft ist? Ja, absolut, ich gehe davon aus.

Sony wird das umsetzen, wenn wir den Eindruck gewinnen, dass der Zeitpunkt erreicht ist, um diese Technologie den Broadcast-Standards entsprechend einzusetzen: robust, zuverlässig und kosteneffektiv. Und wie gesagt: Ich persönlich denke nicht, dass jetzt schon der richtige Zeitpunkt dafür ist.

David Bush: Der dramatische Kostenunterschied pro Megabyte zwischen optischer und Solid-State-Speicherung ist hier ein wichtiger Aspekt. Sony hat ja schon eigene Festspeichersysteme entwickelt, etwa den Memory-Stick. Von der Technologieseite aus wäre es also ein relativ einfacher Schritt für uns, ein Festspeicher-Akquisitionssystem anzubieten. In gewisser Weise haben wir ja ohnehin schon einen hybriden Ansatz, mit dem Low-Res-Proxy-Material, das auf Speicherchips abgelegt wird. Wir sind also schon mitten in diesem Geschäft und zwar dort, wo es aus unserer Sicht technisch und wirtschaftlich Sinn ergibt: für einige Abschnitte innerhalb bestimmter Produktionsabläufe.

Wir sind gut mit den Faktoren vertraut, die Einfluss auf die Kosten von Speichermedien haben, da wir selbst unterschiedliche Speichermedien herstellen — sowohl auf der Consumer-, wie auf der Profi-Seite. Daraus leiten wir die Sichtweise ab, dass der Preisunterschied zwischen optischen und Festspeichermedien noch für eine ziemlich lange Zeit ziemlich groß bleiben wird. Diese Konstellation war immer eine treibende Kraft hinter unsere Entscheidung, mit XDCAM den Weg in Richtung einer optischen Disc zu beschreiten. Wir haben nicht den Eindruck, dass es sich hier um eine Angelegenheit von zwei oder drei Jahren handelt, sondern sind uns sicher, dass die Kostenfrage für mindestens sieben bis zehn Jahre so bestehen bleiben wird, vielleicht sogar noch für länger. Darum hat es aus unserer Sicht Sinn ergeben, in dieser Richtung zu entwickeln — daran hat sich bis heute nichts geändert und das wird auch sicher noch für einige Jahre so bleiben.

Damit verneinen wir aber nicht, dass Festspeicher definitiv eine wichtige Rolle spielen wird: Das ist bei verschiedenen Applikationen schon heute so und wird im Lauf der Zeit weiter zunehmen — und wir sind sehr aktiv darin, diese Entwicklungen zu integrieren.

Spielen die Arbeitsabläufe bei der Etablierung neuer Technologien heute nicht sogar eine größere Rolle, als das jeweilige Speichermedium? Sie sprachen vorher von »media-free acquisition«, ist nicht spätestens dann, wenn wir dort sind, der Workflow das alles entscheidende Kriterium?

David Bush: Aus meiner Sicht liegt der Schlüssel an anderer Stelle: Beim Wechsel vom seriellen »Streamen« von Video auf Band hin zum file-basierten Arbeiten. Das ist ein bedeutender Übergang, der schon jetzt in vollem Gang ist. Das ist ein recht schwieriger Wechsel und zwar gar nicht mal unbedingt in puncto Technologie, sondern sehr viel stärker unter dem Aspekt der Arbeitsabläufe, der Anwendergewohnheiten und davon, wie verschiedene Produktionsunternehmen mit Video umgehen.

Wenn man erstmal einen file-basierten Workflow hat, dann ist es letztlich fast gleichgültig, ob dieses File heute auf einer optischen Disc oder morgen auf einem holografischen Würfel aufgezeichnet wird. Das ist später mit einem Investitionswechsel verbunden, aber nicht mehr mit einem fundamentalen Wechsel der Arbeitsabläufe. Wenn also der Workflow-Wechsel stattgefunden hat, wird es für die Kunden relativ leicht sein, auf zukünftige Medien zu wechseln.

Großes Thema dabei sind natürlich Metadaten. Aber welche Rolle können Metadaten in der Akquisition spielen? Wenn man mit Kameraleuten über dieses Thema spricht, dann ist die übliche Antwort: Solche Features benutze ich nicht und ich werde auch niemals die Zeit haben, sie zu benutzen.

David Bush: Aus meiner Sicht ist das Thema Metadaten auch in der Akquisition extrem wichtig. Metadaten sind einer der Schlüssel, um das file-basierte Arbeiten effizienter zu machen und neue Workflows zu ermöglichen und zu unterstützen. Ohne Metadaten wird das gar nicht funktionieren.

Andererseits ist es natürlich in der Realität so, dass es am Drehort oft nicht genug Zeit und vielleicht auch nicht immer den Willen und das Wissen gibt, um richtig mit der Erzeugung von Metadaten umzugehen. Deshalb legen wir bei Sony hier einen starken Fokus darauf, wie man dies so weit wie möglich automatisieren kann. Für einige Dinge wird man immer einen Operator brauchen, einen Journalisten, einen Kameramann oder einen Assistenten, der das manuell einstellt oder eingibt. Es gibt aber auch unglaublich viele Möglichkeiten, Metadaten automatisch zu erzeugen.

Wir konzentrieren uns auf der Herstellerseite darauf, den Anwendern das Leben so leicht wie möglich zu machen. Wir erwarten keineswegs, dass ein Team rausgeht und dann anfangen muss, Metadaten einzugeben: Die gehen raus, um eine Story zu drehen, einen Spielfilm oder eine sonstige Produktion. Wir müssen also versuchen, die Last mit den Metadaten in der Akquisition von deren Schultern zu nehmen.

Naomi Climer: Das ist ein sehr gutes Beispiel für eine Workflow-Angelegenheit: Es ist normalerweise sehr effizient, wenn schon die Kameraleute beim Drehen die Metadaten erfassen. Aber natürlich kenne auch ich sehr viele Kameraleute, die exakt das sagen würden, was sie zitiert haben: Das ist nicht mein Job, das mache ich nicht. Kreative Leute empfinden es oft als Belastung, wenn sie detaillierte Metadaten erfassen sollen.

Blickt man aber aus einer anderen Perspektive auf diesen Sachverhalt, dann ergibt sich ein anderes Bild: Ich habe selbst bei einem Broadcaster gesehen, dass das Ingest-Team Leute einstellen musste, um die Metadaten zu erfassen und es dauert zehnmal so lang, wenn man das nachträglich macht. Man muss die Leute finden, die vor Ort waren, die etwas zu den äußeren Umständen der Aufnahmen sagen können und so weiter.

Wie David schon sagte, müssen wir pragmatisch vorgehen, und versuchen, dieses Thema so weit wie irgend möglich zu automatisieren. Ganz besonders innerhalb unserer News-Produktionssysteme. Dabei sind wir auf einem guten Weg: Die Newsroom-Systeme wie ENPS, Avid iNews und ähnliche können XDCAM-Discs mit Metadaten vorbespielen. Man kann dem Drehteam also eine Disc geben, die schon mit grundlegenden Metadaten versehen ist, wie etwa Story/Titel und Aufnahmedatum. Das ist ein erster, praktischer Ansatz.

Das werden wir weiter entwickeln und weiter automatisieren, denn dieser Aspekt kann enorm zur Effizienz beitragen, auch wenn man an die Archivierung denkt. Wir realisieren mit unseren Kunden auch viele Archivierungs-Projekte und dabei sieht man sehr oft, wie sich Broadcaster plötzlich fragen: Warum, warum nur habe ich am Anfang nicht mehr getan? Denn die Archivierung wäre um so viel leichter, wenn man in puncto Metadaten mehr getan hätte.

Vor ein paar Jahren hat Sony begonnen, in der offiziellen Kommunikation immer weniger von Produkten, und immer mehr von Lösungen zu sprechen. Wie weit kann man das treiben? Es war sogar die Rede davon, dass die Kunden im Grunde »technology agnostic« werden könnten, Sony kümmere sich um den Rest. Wie realistisch ist das, wie weit ist diese Entwicklung?

Naomi Climer: Nun, es entwickelt sich. Die Professional Services Division, die ich leite, macht letztlich nichts anderes, als Lösungen anzubieten — und diese Abteilung wächst seit drei Jahren kontinuierlich. Auch der Rest unseres Teils von Sony wächst nun nach einer ziemlich schwierigen Phase wieder, aber bei den Professional Services setzte das Wachstum schon lange vorher ein. Unser Business läuft gut und wir können absehen, dass es auch im kommenden Jahr gut laufen wird.

Unsere Kunden sind aber in der Regel gar nicht so erpicht darauf, »technology agnostic« zu werden. Letztlich legen sie doch Wert darauf, dass zumindest ein Teil der Lösung von Sony kommt, denn dann ergibt es für die Kunden einen Sinn, mit uns zusammen zu arbeiten. Und dabei geht es in der Regel um einige Elemente, die den Kunden besonders wichtig sind.

In den beiden vergangenen Monaten etwa hatten wir aber zwei Kunden, die uns damit überraschten, dass ihnen die Technologie im Grunde wirklich gleichgültig ist und dass sie sich hauptsächlich wegen des Designs und der Gebrauchsfähigkeit für bestimmte Lösungen entschieden — sie hatten andere, ziemlich klare Kriterien. Diese Sichtweise in der Praxis von der Kundenseite zu hören, ist im Grunde immer noch relativ neu für uns, obwohl wir uns in der Theorie schon länger mit dieser Entwicklung befasst haben.

Führt man sich vor Augen, wie heute die Produkte aussehen — und XDCAM ist ein hervorragendes Beispiel dafür — dann zeigt sich ein neues Bild: Obwohl man XDCAM-Geräte als einzelne Produkte kaufen kann und dann sofort in den Genuss der Vorteile eines nonlinearen, file-basierten Systems gelangt, entfaltet XDCAM seine Funktionalität tatsächlich erst durch die Integration mit einem nonlinearen Schnittsystem oder einem Archivsystem. Dann entsteht ein größeres Ganzes.

Zieht man zudem in Betracht, dass einige Broadcaster ihr technisches Personal reduzieren, und gleichzeitig auf stärker integrierte Lösungen setzen, innerhalb derer die weit verzweigte Broadcast-Infrastruktur enger verknüpft ist, dann wird es für diese Anwender immer interessanter, mit Firmen wie uns zusammen zu arbeiten, um die verschiedenen Elemente zu verbinden.

Wir haben einige Projekte realisiert, in denen der Anteil an Sony-Equipment unter fünf Prozent des Gesamtvolumens liegt. Wir haben stattdessen HP-Hardware integriert, darunter große Speichereinheiten, und etliche eigentlich ganz ungewöhnliche Dinge gemacht. Die Kunden kommen mit solchen Projekten zu Sony, weil sie wissen, dass wir ihren Broadcast-Workflow verstehen, dass wir vertrauenswürdig sind und es uns auch in zehn Jahren noch geben wird. Das sind heute die Auswahlkriterien und nicht mehr notwendigerweise die einzelnen Produkte.

Obwohl es letztlich außer Frage steht, dass Sony ein produkt-zentriertes Unternehmen ist und das auch weiterhin bleiben wird, haben also die Lösungs-Aspekte eine wachsende Bedeutung.

Sie sagten zu Beginn dieses Interviews, dass sich die potenzielle Kundenbasis für die Profiabteilung von Sony verbreitert: neben die Broadcaster treten einerseits andere Medienunternehmen und Telekom-Unternehmen sowie andererseits auch beispielsweise Hochzeitsfilmer. Der Solutions-Ansatz passt doch aber letztlich nur für die großen Unternehmen innerhalb dieser Zielgruppe.

Naomi Climer: Ich denke, wir werden tatsächlich dem Hochzeitsfilmer keine Solution verkaufen können, da stimme ich Ihnen zu. Aber ein Unternehmen, das eigenes Business-TV etablieren will, ist ein möglicher Solutions-Kunde. Ebenso wie ein Einkausfzentrum, in dem wir etwa Bildschirme, ein IP-Netz und AV-Equipment installieren können. Bei diesen beiden Beispielen kann es sich um relative Low-Cost-Lösungen handeln, die auf bestimmte Art und Weise auch relative Low-Tech-Lösungen sind. Dennoch haben diese Kunden nicht die Erfahrung, um so etwas selbst zu realisieren. Es geht also nicht ausschließlich um Broadcast-Applikationen, wenn wir von Solutions reden, aber es stehen in der Regel doch größere Unternehmen dahinter, das stimmt schon.

Im Bereich Consulting ist das Spektrum aber noch breiter, hier zählen wir auch vergleichsweise kleine Firmen zu unseren Kunden.

Als ich von der BBC zu Sony kam, war mein Gefühl, dass die BBC ein großer, breit aufgestellter, vielfältiger Broadcaster ist. Seit ich aber für Sony in Europa, dem mittleren Osten und Afrika tätig bin, sehe ich sehr viele, ganz unterschiedliche Arbeitsweisen. Ich sehe Stationen, die mit 25 Jahre altem Equipment senden, das immer noch funktioniert und sich sehe strahlend neue, moderne, komplett digitale Facilities — und alles zwischen diesen Extremen. Ich denke in diesem Umfeld ist das Wissen, das bei Sony vorhanden ist und das wir wieder in die Branche zurückfließen lassen, besonders wertvoll — und wir sehen sehr viele Möglichkeiten, das zu tun.

David Bush: Es ist auch überraschend, was man hört, wenn man mit den unterschiedlichen Anwendern redet. Bleiben wir beim Beispiel des Hochzeitsfilmers: Auch hier gibt es Dinge, die diese Leute neben dem Equipment noch brauchen. Auch ein Hochzeitsfilmer kann nicht sechs Wochen warten, bis ein beschädigtes Gerät repariert ist, er ist also vielleicht an einem Service-Paket interessiert, das ihm ein Ersatzgerät garantiert, wenn seines in Reparatur ist. Vielleicht ist er auch an einem Finanzierungs- oder Leasing-Angebot interessiert.

Es gibt also auch an diesem Ende des Marktes Möglichkeiten und Bedarf, auf die sich eine »Solution« maßschneidern lässt — auch wenn das hier vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist.

Naomi Climer (lacht}: Das ist richtig. Ich nehme zurück was ich gesagt habe: Wir können tatsächlich auch dem Hochzeitsfilmer eine Solution anbieten. Ja, das stimmt tatsächlich.

David Bush: Der Solution-Gedanke ist etwas, was wir über alle Geschäftsfelder hinweg im Auge haben: Vom Hochzeitsfilmer bis hin zu Multi-Millionen-Euro-Projekten von Broadcastern und Institutionen, die es nach wie vor gibt und die wir auch realisieren. Das ganze Spektrum ist für uns wichtig.

Wird das zukünftig bei Sony eine wachsende Rolle spielen: Dienstleistungs-, Service- und Finanzierungsangebote?

Naomi Climer: Ich denke das ist unausweichlich. Wenn man es mal rein wirtschaftlich betrachtet: Der Preis von HD-Equipment fällt, in zwei Jahren wird der Durchschnittspreis eines Recorders oder Camcorders mit ziemlicher Sicherheit niedriger liegen als heute. Sony muss also als Unternehmen andere Ertragsquellen erschließen. Services und Solutions sind ganz klar ein Bereich, wo das möglich ist.

Alternativ dazu müssten wir ganz neue Hardware erfinden, hierfür unsere technische Erfahrung nutzen und neue Märkte erschließen. Aber in der Realität fallen und fallen die Hardware-Preise ganz generell immer weiter — wir müssen also definitiv andere Quellen finden. Nehmen wir als Beispiel die Playstation: Hier wird mit der Hardware relativ wenig erwirtschaftet, die Erträge stammen aus dem Geschäft mit der Spiele-Software. Auf der rein wirtschaftlichen Ebene ist das eine ganz ähnliche Situation.

Wir müssen auf den zunehmend integrierten Markt reagieren, den wir bedienen — und das ergibt auch Sinn: Wir sind überzeugt davon, dass es eine Nachfrage nach unseren Dienstleistungsangeboten gibt.

David Bush: Hier liegt auch einer der größten Verantwortungsbereiche der lokalen Sony-Organisationen. Die meisten unserer Produkte entstehen in Japan. Was wir lokal tun können, ist die Kommunikation in beide Richtungen zu unterstützen und um diese Produkte herum Angebote und Lösungen zu schaffen. Darin besteht der Value Ad, den wir auf lokaler Ebene bieten. Wie das geschieht, variiert von Land zu Land und von Region zu Region sehr stark. Hier in Deutschland haben wir etwa große, sehr kompetente Systemhäuser wie etwa BFE und ähnliche Firmen, mit denen wir gern eng zusammenarbeiten. Bei uns geht es also eher darum herauszufinden, wo wir Bedarf und Möglichkeiten sehen, um einen Value Ad anzubieten, den unsere Kunden vielleicht nicht von den anderen Partnern erhalten können, mit denen wir zusammenarbeiten.

Naomi Climer: Das stimmt natürlich: Service-Angebote sind nur dann sinnvoll, wenn sie exakt auf die lokalen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Deshalb ist die Professional Services Division in Deutschland innerhalb des Broadcast-Marktes nicht sehr aktiv, weil es hier schon langjährige Partner wie BFE gibt, aber wir sind etwa bei Einkaufszentren und in anderen Feldern aktiv. In Frankreich dagegen sind wir auch im Broadcast-Bereich sehr stark involviert. Wir sind in 108 Ländern aktiv und die kulturellen Unterschiede sind dabei ebenso breit gefächert, wie die Art und Zahl der jeweiligen lokalen Player.

Derzeit werden in Deutschland und auch in anderen Ländern Europas zahlreiche HD-Ü-Wagen gebaut. Die Motivation dahinter ist in vielen Fällen die Fußball-WM und deren Umfeld. Was passiert aber nach der WM, was produzieren all diese HD-Ü-Wagen dann?

Naomi Climer: Es gibt ja nicht nur die Fußball-WM, sondern etliche andere, große Sportereignisse, die zumindest teilweise in HD übertragen werden: etwa Rugby und Cricket, aber auch zahlreiche Events im mittleren Osten. Der Kalender ist schon bis zu den Olympischen Spielen im Jahr 2012 in Großbritannien gut gefüllt.

Sony Professional Services hat im Jahr 2005 neun HD-Ü-Wagen gebaut und wir haben Bestellungen in der gleichen Größenordung für unser nächstes Fiskaljahr — das sind aber alles Ü-Wagen, die nicht mehr vor der Fußball-WM fertiggestellt werden, was den Kunden aber von Anfang an klar war: Es gibt also ganz offenbar neben der WM noch weitere Gründe, in HD-Ü-Wagen zu investieren.

Aus China hören wir, das man dort einen Bedarf für 60 HD-Ü-Wagen bis zu den Olympischen Spielen in Peking sieht. Es gibt also ganz offenbar einen riesigen Ü-Wagen-Markt und ich glaube, dass ein Aspekt dessen ist, dass HD immer mehr zum Standard wird.

Viele Unternehmen beginnen mit HD im Ü-Wagen-Bereich, weil dies eine schöne, abgegrenzte Nische ist, innerhalb der man gut mit HD experimentieren kann. Hier kann man sich an HD gewöhnen und es in der Praxis verstehen. Das begann bei den Ü-Wagen-Verleihern, die nun alle möglichen Jobs damit abwickeln, die vielleicht gar kein HD erfordern würden, die aber dennoch in HD gemacht werden. Natürlich ist die Frage, ob die Dienstleister dafür auch mehr verlangen können — das wird man abwarten müssen.

Ich habe aber während der IBC mit vielen Firmen aus dem Ü-Wagen-Verleihgeschäft gesprochen und eine Firma, die bislang noch nicht in HD investiert hatte, berichtete, dass sie reguläres Business an Firmen verloren hätten, die schon in HD investiert haben. Nun kommen also bis zu einem gewissen Grad auch noch fast schon panikartige Käufe dazu. Deshalb glaube, dass die Ü-Wagenflotten nun relativ schnell auf HD aufgerüstet werden und dass HD-Fähigkeit in diesem Marktsegment sehr rasch zum Standard wird.

Hinzu kommt noch, dass die Art von Events, die üblicherweise mit Ü-Wagen produziert werden, auch häufig solche Events sind, die man für lange Zeit archivieren und später erneut nutzen will. Es ergibt also durchaus sehr viel Sinn, das in HD aufzunehmen.

Tatsächlich stellt sich auf der wirtschaftlichen Seite im Ü-Wagen-Bereich nur die Frage, ob man für HD-Ü-Wagen einen höheren Mietpreis durchsetzen kann, als für einen SD-Wagen.

Der Trend zu neuen HD-Wagen ist tatsächlich so groß, dass es bei den Fahrzeugbauern, die Ü-Wagen-Chassis bauen, aktuell kaum noch freie Kapazitäten gibt. Die sind teilweise bis Mai ausgebucht.

David Bush: Tatsächlich ist es doch auch so, dass praktisch alle HD-Ü-Wagen auch in SD produzieren können und dass hier auch mit einer Mischkalkulation aus SD- und HD-Einsatzen gearbeitet wird. Es wird in der Praxis nur sehr wenige Firmen geben, die eine Roadmap voller HD-Produktionen für Ihre HD-Ü-Wagen haben. Aber wer einen HD-Ü-Wagen hat, der wird eben auch mehr hochwertige SD-Aufträge bekommen, weil er eben einen State-of-the-Art-Wagen vorweisen kann. Das ist sicher auch eine der Überlegungen, die viele Ü-Wagen-Betreiber in Richtung HD gehen lassen, selbst wenn sie in der ersten Zeit keine oder nur sehr wenige konkrete HD-Aufträge in Aussicht haben.

Was sind denn aus Sony-Sicht neben den bislang besprochenen, die wichtigsten aktuellen Themen und Trends in der Branche?

Naomi Climer: Da würde ich zuerst IPTV und Mobile-TV nennen. Das sind weitere Themen, mit denen wir uns intensiv beschäftigen.

David Bush: Besonders im Gespräch mit den deutschen Broadcastern stößt das Thema Mobile-TV auf mindestens genauso viel Interesse wie das Thema HD. Sie sehen darin auch eine Möglichkeit, ein völlig anderes, jüngeres Publikum zu erreichen. Wir arbeiten auch intensiv an Produktionssystemen für diese Art von Applikation.

Sehen Sie bei Sony darin einen separaten Geschäftsbereich, oder gehört das zum Broadcast-Bereich? Wo ist dieses Thema innerhalb von Sony angesiedelt?

Naomi Climer: Es ist notwendigerweise ein Teil des Broadcast-Bereichs, weil es sich zunächst einmal zum großen Teil um die gleichen Kunden handelt. Aber wir sprechen natürlich neben den Broadcastern bei diesem Thema auch mit den Telcos und Breitband-Providern. Man braucht Content-Produktionssysteme für diesen Bereich und so etwas ist natürlich unser Kerngeschäft. Dieser Bereich stellt zwar ganz andere Anforderungen als das Thema HD, aber — wie David schon sagte — es sind oft die gleichen Kunden, die sich sowohl für HD, wie für Mobile-TV interessieren.

Wir werden hier sehr viele Experimente sehen, zumal sich ja auch die Empfangsgeräte weiterentwickeln. Nehmen wir etwa die Playstation Portable, bei der ich mir sehr gut vorstellen könnte, im Bus zu sitzen und darauf Content anzuschauen.

Mobile-TV und IPTV sind Bereiche, in denen Sony auf der Consumer-Seite involviert ist, wenn wir an Playstation Portable oder an Sony-Ericsson-Geräte denken. Wir sind auf der Content-Seite involviert, wenn ich etwa an Sony Pictures denke, und wir sind auf der Produktions- und Sendetechnik-Seite involviert, wo wir jahrelange Broadcast-Erfahrung mitbringen. Diese Themen reflektieren also geradezu perfekt unseren »Sony-united«-Ansatz und wir werden hier sehr aktiv sein.

Wie könnte ein Produktionssystem für Mobile-TV aussehen? Muss man sich darunter eher einen Ü-Wagen vorstellen, der am Ende eben Content auf Handys streamt, oder geht das eher in Richtung der Anycast Station?

David Bush: Derzeit liegt der Fokus stärker auf Studio-Produktions-Equipment. Aber Sie haben natürlich Recht, es könnten in diesem Bereich durchaus auch auf der Produktionsseite verstärkt mobile Applikationen gefragt sein. Momantan liegt unser Schwerpunkt aber klar auf vernetzten Inhouse-Produktionssystemen. Aber natürlich könnte es irgendwann auch weiteres Equipment geben, das eher auf die mobile Produktion von Content für diesen Kanal ausgerichtet ist.

Naomi Climer: Anycast Station passt natürlich schon jetzt in diesen Bereich und das gleiche gilt auch für DV Station. Beide Systeme können auch Content für IPTV und für Mobile-TV ausgeben.

Weitere Infos

Weitere Informationen zu den im Text genannten Formaten finden sie hier. Im Testbereich finden Sie Berichte zur Anycast Station und zum XDCAM-System. Einen aus diesem Interview ausgegliederten Abschnitt zum Thema »Berlin-Umzug« von Sony finden Sie hier.

Downloads zum Artikel:

T_0106_Sony_Climer_Bush.pdf