Branche, Top-Story, Trend: 14.08.2015

Die Amira ist erwachsen

Tobias Körtge hat Mitte letzten Jahres als einer der ersten Anwender in Europa eine Amira von Arri gekauft. Schon zuvor hatte er im März 2014 mit einem seriennahen Prototypen dieser Kamera einen Clip zum Modelljubiläum der Sportlimousine BMW M5 gedreht. Seine eigene Amira setzte Körtge seither bei etlichen weiteren Produktionen ein und berichtet nun im Gespräch mit film-tv-video.de von seinen Erfahrungen mit dieser Kamera. Ergänzende Infos zur Amira fragte film-tv-video.de beim zuständigen Arri-Produktmanager Markus Dürr ab.

Vor rund zwei Jahren hatte Arri im Rahmen der IBC2013 die Amira erstmals öffentlich präsentiert (Meldung) — und damit die eigene Kameralinie um eine etwas preisgünstigere Kamera ergänzt, die zwar den gleichen Sensor wie die Alexa-Baureihe aufweist, aber eher für Einsatzbereiche geeignet ist, in denen schnelles, sehr flexibles Arbeiten gefragt ist — im kleinen Team oder sogar als Einmannteam.

Letztlich entscheiden aber natürlich die Anwender, wie und wozu sie die jeweilige Kamera einsetzen. Und so ist die Amira mittlerweile auch in vielen Märkten etabliert, die für den Hersteller zunächst gar nicht im Fokus der Entwicklung gestanden hatten: »Wir sehen, dass die Amira in einigen Ländern etwa auch für kleinere szenische Produktionen eingesetzt wird. In China etwa gibt es etliche Kunden, die mit der Amira TV-Serien und Daily-Soaps drehen«, erläutert Amira-Produktmanager Markus Dürr. »Diese Kunden wollen den Look der Alexa, müssen aber mit kleineren Budgets auskommen. Hier ist die Amira eine sehr gute Alternative.« Andere Anwendungsfelder finden sich im Sportbereich — und zwar weniger in der Live-Produktion, als bei aufwändig produzierten Hintergrundbeiträgen, die sehr filmartig aufgemacht sind und in denen die Amira ihre Zeitlupenfähigkeiten ausspielen kann. »Für die Produktion solcher Beiträge hat sich die Amira bei einigen Anwendern in den USA als passende Produktionskameras bewährt«, berichtet Markus Dürr.

Der deutsche Amira-Pionier Tobias Körtge (Bericht) steht also mit den Produktionen, die er mit der Amira realisiert hat, in einem vielfältigen Umfeld — und ist dabei vielleicht insofern exemplarisch, dass er ebenfalls schon ganz unterschiedliche Produktionen realisiert hat, für die der Einsatz einer Arri-Kamera bisher außerhalb der Reichweite des Budgets gelegen hätte.

So hat Körtge mit seiner Amira etwa schon 16 Folgen der »Fiat Urban Stories« in HD gedreht, das sind sechsminütige Clips, die Werbe-, Doku- und Interview-Elemente kombinieren, um den Fiat 500 zu promoten. Aber auch eine UHD-Produktion hat Körtge schon realisiert. Und einen Muttertagsspot für den Online-Händler Limango, einen Online-Spot für MAN, den offiziellen Spot für das Jubiläumsmodell des BMW M5 — und etliche weitere.

Amira: breiter Einsatzbereich

Um die Amira auf breiter Basis für unterschiedlichste Zwecke einsetzen zu können, ist es natürlich hilfreich, dass die Amira seit ihrer ersten Vorstellungen schon etliche Updates und Verbesserungen erfuhr.

»Das ist möglich, weil wir bei dieser Kamera auf ein FPGA-Design setzen. Das gibt uns die Möglichkeit, die Fähigkeiten der Kamera über die Jahre mit Software-Upgrades immer wieder zu erweitern — selbst mit Funktionen, an die wir bei der Vorstellung der Kamera selbst noch gar nicht gedacht hatten«, erklärt Markus Dürr.

Kameramann Tobias Körtge bestätigt diese Einschätzung aus der Praxis und nennt als Beispiel hierfür das UHD-Update. »Das ist ein toller Benefit, weil man ja praktisch eine 2K-Kamera gekauft hat und die UHD-Funktionalität nun quasi nachgeliefert bekommt«, urteilt Tobias Körtge, der die UHD-Funktionen bei einem Greenscreen-Dreh auch schon einsetzen konnte.

Großes Update: UHD-Aufzeichnung

Die Amira erhielt mit dem UHD-Upgrade die Funktion, in ProRes mit einer Auflösung von 3.840 x 2.160 Bildpunkten (UHD) direkt auf C-Fast 2.0-Karten aufzuzeichnen. Das Up-Sampling auf UHD findet dabei in Echtzeit direkt in der Kamera statt: auf die Speicherkarte werden UHD-Files geschrieben, wenn der Anwender das will.

Tobias Körtge sagt über seine Arbeit: »Ich arbeite bis dato vor allem dann in UHD, wenn es um VFX-Shots geht oder wenn die Wiedergabe auf Großbildleinwänden geplant ist.« Er konnte die höhere Auflösung also schon in der Praxis nutzen, wenngleich Körtge einschränkt, dass seine Kunden in den meisten Fällen gar nicht nach einer bestimmten Auflösung fragen, sondern viel häufiger nach einer bestimmte Kamera oder einem bestimmten Look.

»Weitaus mehr als die Hälfte der verkauften Kameras wurden von den Kunden mittlerweile schon mit dem UHD-Update ausgestattet, es wird sehr gut angenommen«, berichtet Markus Dürr.

Im UHD-Modus kann die Kamera ProRes-Dateien in verschiedenen Qualitätsstufen bis ProRes 4444 im Raster 3.840 x 2.160 auf CFast-2.0-Speicherkarten aufzeichnen — mit Bildraten bis 60 fps. Es wird also schon in der Kamera ein Up-Scaling durchgeführt und auf dem Speichermedium liegen schon UHD-Files vor. Beim Up-Scaling können die Bildsignale zudem noch mit Funktionen zur Rauschminderung, Schärfung und Detail-Anhebung an die individuellen Wünsche oder an die Bilder anderer Kameras angeglichen werden. Die Amira kann mit SUP 2.0 auch Dateien in ProRes 3,2K aufnehmen, die mit denen kompatibel sind, die in der Alexa mit SUP 11.0 möglich sind.

Das UHD-Upgrade für die Amira ist als kostenpflichtiges Update im Lizenz-Shop von Arri verfügbar. Auch wenn UHD-Produktionen für ihn nicht an der Tagesordnung sind, setzt Tobias Körtge das UHD-Update durchaus mal ein, wenn es sich während der Produktion ergibt, dass es sinnvoll ist, eine Szene in UHD zu drehen und erst nachträglich einen kleineren HD-Ausschnitt daraus zu verwenden. »Das geht von der Bildqualität her ohne Probleme«, urteilt Körtge.

Und was ist mit Raw-Aufzeichnung? »In den Marktbereichen, in denen ich tätig bin, wird so gut wie nie in Raw aufgezeichnet«, erläutert Tobias Körtge. »Das Problem sind dabei die riesigen Datenmengen die entstehen und die große Rechen-Power, die man in der Postproduction braucht, um das zu verarbeiten. Das macht die Nachbearbeitung unverhältnismäßig teuer und deshalb ist das im breiteren Markt eigentlich kein Thema, sondern wird nur bei High-Budget-Produktionen gemacht.«

Neuer Sucher, weicheres Schulterpolster

Dass die laufenden Verbesserungen an der Amira aber keineswegs auf Software-Änderungen beschränkt sind, wertet Tobias Körtge ebenfalls positiv. So erfuhr die Arbeit mit der Amira aus der Sicht von Körtge eine weitere große Verbesserung, als Arri den Sucher überarbeitete. »Beim alten Sucher gab es das Problem, dass man das Bild nicht immer zuverlässig beurteilen konnte, wenn man mit dem Auge von der Idealposition abwich«, erklärt Tobias Körtge.Arri besserte hier nach und liefert nun einen Sucher, »mit dem man die Schärfe zuverlässig und das Bild generell sicher beurteilen kann«, so Körtge. Auch wenn man leicht seitlich oder mit etwas Abstand in die Sucherlupe schaut, hat man nun ein klares Sucherbild.

Auch an anderen Stellen der Kamera hat Arri nochmals Hand angelegt und etwa das Schulterpolster etwas weicher ausgeführt, so Markus Dürr.

Highspeed-Aufzeichnung

Die Amira kann in HD mit bis zu 200 Bildern pro Sekunde aufzeichnen — und ermöglicht damit die Aufzeichnung von eindrucksvollen Zeitlupen-Sequenzen. »Das ist ein großes Plus gegenüber der Alexa, aber auch gegenüber anderen Kameras in der Amira-Klasse«, urteilt Tobias Körtge. »Wir nutzen diese Funktion oft und die Kunden lieben sie.«

Markus Dürr von Arri bestätigt diese Einschätzung, wenn er sagt, dass »für viele Amira-Kunden die Kombination aus guter Bildqualität und Highspeed-Funktionalität eine sehr wichtige Rolle« spiele, insbesondere in der Werbefilmproduktion.

Mit LUTs arbeiten

Das Gestalten und Verändern von Looks spielt mittlerweile eine große Rolle — und zwar keineswegs nur in der Postproduktion: Das Arbeiten mit verschiedenen Gammakurven und LUTs ist längst auch am Set von Mid-Budget-Produktionen angekommen. Oft werden so schon am Set die Grundlagen des gewünschten Looks festgelegt, man kann beim Dreh kontrollieren, wie die Bilder später aussehen können.

Es gibt aber auch ganz konkrete, praktische Anlässe, aus denen die Kameraleute heute eingreifen müssen. Tobias Körtge berichtet: »Bei Drehs mit stark geschminkten Models haben viele HD-Kameras Probleme, sie reproduzieren und betonen dann das Make-Up und die Hauttöne so, dass es sehr unnatürlich und störend wirkt. Wir haben dieses Problem eine Zeit lang so gelöst, dass wir bei solchen Szenen von Rec 709 auf den Commercial Look umgestellt haben — der kam besser mit diesem Effekt zurecht.« Arri wiederum lieferte Lösungen hierfür, indem nun weitere LUTs zur Verfügung stehen: etwa »TV Neutral« und »TV Warm«.

»Solche Presets und Looks sind natürlich sehr hilfreich und bequem, auch wenn man sie mit dem Amira Color Tool letztlich auch selber einstellen kann«, urteilt Tobias Körtge, der bei kritischen Szenen generell Testaufnahmen dreht, diese direkt am Set via Laptop mit dem Color Tool lädt und dann Farbe und Look schon grob vorkorrigiert und an die jeweilige Dreh-Situation anpasst. »Für die Kollegen in der Postproduktion ist das eine sehr große Hilfe, die viel Zeit spart, weil man eben beim Grading nicht bei Null anfängt«, urteilt Körtge. Wichtig: diese Einstellungen verändern natürlich nicht das Originalmaterial, sondern werden lediglich als Wrapper-Info in die Post mitgegeben: Man hat also in der Post noch alle Möglichkeiten offen.

EF-/PL-Mount

Als großen Vorteil wertet Tobias Körtge die Möglichkeit, die Amira nun seit Anfang des Jahres auch mit einem EF-Mount bestücken zu können. »Wenn man den ganzen Drehtag mit einem PL-Objektiv gedreht hat und am Ende dann nochmals ein kleineres Kamera-Setup braucht, weil man zum Beispiel in einem Auto drehen muss, kann man nun ganz einfach und schnell den Mount wechseln und die Amira auch mit einem EF-Objektiv nutzen. Das ist sehr bequem«, meint Körtge.

Ausblick: XDCAM-kompatible Aufzeichnung, Multicam-Schnittstelle

Mit dem nächsten Software-Update, das zur IBC2015 verfügbar werden soll, geht Arri bei der Amira in puncto Bildraster und Codec-Qualität einen weiteren Schritt, um bessere Kompatibilität mit bestehenden Broadcast-Infrastrukturen herzustellen. »Das Kern-Feature von SUP 3.0 ist die Möglichkeit, MPEG-2 422P@HL mit 50 Mbps in einem MXF-Wrapper aufzuzeichnen — also ein mit XDCAM HD kompatibles Format« erläutert Markus Dürr.

Damit wird die Amira auch in puncto Aufzeichnungsformat zu einer Alternative für klassische Broadcast-Schultercamcorder von Sony und passt nahtlos in die XDCAM-Workflows, die bei vielen Sendern in Betrieb sind. Um genau diesen Markt noch besser anzusprechen, bietet Arri für die Amira auch ein neues, optionales Audiozubehör an: An die Kamerarückseite kann eine Erweiterung angeflanscht werden, die einen Slot für einen Audio-Funkempfänger bietet. Damit lässt sich die Amira kabellos mit Audio-Equipment wie Mischern oder Funkmikros kombinieren.

Markus Dürr kündigt noch eine weitere Neuheit an: Arri wird zur IBC2015 eine Schnittstelle und Funktionalität in der Amira zur Verfügung stellen, die es den Kunden ermöglichen soll, Amiras in einem Multikamera-Verbund einzusetzen, mit den entsprechenden Funktionen zur Kontrolle der Kameraparameters mittels eines »Remote Control Panels«.

The next big thing?

Was wünscht sich ein Kameramann wie Tobias Körtge für die Zukunft? Für ihn ist ganz klar: »HDR ist the next big thing.« Er glaubt, dass Bilder mit höherem Dynamikumfang beim Endkunden viel besser ankommen, als Bilder, bei denen nur die Auflösung erhöht wurde. Damit liegt er zumindest auf einer Linie mit Arri, denn dieser Hersteller betont seit vielen Jahren, dass für bessere Bilder mehr notwendig sei, als nur die Auflösung zu erhöhen.

Eines jedenfalls kann man schon jetzt konstatieren: Die Amira, eine zeitlang von vielen bloß als kleine Schwester der Alexa eingestuft, hat mittlerweile die Kinderkrankheiten hinter sich gebracht — und ist nun selbst erwachsen.

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