Kamera, Messe, Top-Story: 11.11.2011

Der große Wurf? Was will Canon mit der C300?

Canon stellte vor ein paar Tagen seinen ersten Single-Large-Sensor-Camcorder C300 vor. Was kann dieses Gerät und wohin soll die Reise von hier aus gehen? Fragen, zu denen sich erste Beta-Tester und Canon-Mitarbeiter äußern, über die aber auch ein Blick in die Spezifikationen Aufschluss bietet.

Martin Scorcese als Gastredner, rund 400 geladene Gäste vor Ort in Los Angeles, die Paramount-Studios als Veranstaltungsort, Hollywood als Hintergrund: Die Vorstellung der digitalen Filmkamera C300 als erstem Modell der Cinema-EOS-Familie war vom Hersteller als Paukenschlag konzipiert — und tatsächlich schwingt das Echo nach, etwa auch in Form dieses Artikels.

Fujio Mitarai, der President und CEO von Canon, präsentiert den EOS C300, Martin Scorsese begrüßt die neuen Möglichkeiten für Filmemacher und heißt Canon als Kamerahersteller in Hollywood willkommen.

Aber was will Canon mit der Single-Large-Sensor-Kamera C300 erreichen? In den echten, filmischen High-End-Markt passt ein Gerät, das maximal ein 1080p30-Signal aufnehmen kann, bei nüchterner Betrachtung nämlich gar nicht. Dort spricht man derzeit eher von Raw-Aufzeichnung — und die beherrscht die neue Canon-Kamera eben nicht. Andererseits fehlen der Kamera aber auch Funktionen wie Autofokus und integrierte Zoomsteuerung, sie ist damit ganz bewusst auf szenische Produktionen ausgelegt. Der Netto-Listenpreis in Europa soll in der Größenordnung von 16.000 Euro für den nackten Camcorder ohne Objektiv liegen. Da stellen sich durchaus Fragen.

Auf die meisten dieser Fragen ist Canon vorbereitet: Schließlich hat das Unternehmen, so erläuterte Eliott Peck, Senior VP & GM Sales von Canon USA, vor drei Jahren mit der Planung begonnen und dazu in den USA 150 Branchen-Insider von der Anwenderseite befragt. Deren Feedback floss dann in die Konzeption der Cinema-EOS-Baureihe ein und kristallisierte zunächst in deren erstem Vertreter, der C300. Wieso zunächst? Bei Nachfragen zum C300 geben Canon-Offizielle rasch die Antwort, dass es sich ja nur um das erste Gerät einer ganzen Familie handele, in der es Raum nach oben und unten gebe. relativ konkret sind offenbar die Pläne für eine »cinema-optimized« DSLR.

Fujio Mitarai, der President und CEO von Canon, präsentiert den EOS C300, Martin Scorsese begrüßt die neuen Möglichkeiten für Filmemacher und heißt Canon als Kamerahersteller in Hollywood willkommen.

Außerdem hat sich Canon ja keinesfalls in diesen Markt gedrängt: Unumwunden erklären selbst höchste Canon-Offizielle wie Masaya Maeda, der CEO von Canon USA oder Rainer Führes, Head of Consumer Imaging bei Canon Europe, dass das Unternehmen von der Entwicklung überrascht worden sei, die mit der Vorstellung der DSLR EOS 5D Mk II im Jahr 2008 begann: Die Anwender setzten diese DSLR als Filmkamera in Bereichen ein, an die Canon bei der Konzeption dieser Kamera nicht im entferntesten gedacht hatte.

Anwender wie der Fotograf Vincent Laforet, der 2008 mit »Reverie« als einer der ersten einen sehr erfolgreichen Kurzfilm komplett mit der 5D MK II drehte, stießen Türen auf und machten den Einsatz von DSLRs im Filmbereich populär. Kein Wunder also, dass Laforet nun zu den ersten Anwendern der C300 gehört (er ist im in diese Seite eingebetteten Podiumsvideo zu sehen und auch im Making-Of/Promo-Video).

So befeuerten es letztlich die Anwender, dass bei Canon relativ rasch nach der 5D Mk II erste Überlegungen entstanden, eine digitale Filmkamera zu bauen, die sich von den Camcordern des Unternehmens unterscheidet, aber gleichzeitig besser auf das Filmen optimiert ist, als eine DSLR das jemals sein kann. Schon länger wurde über einen solchen Canon-Camcorder spekuliert, nun ist er da.

Man begreift schnell, dass der 4K-Sensor wohl mehr hergeben würde, als Canon im C300 aufzeichnet und ausgibt: Das deuten Canon-Mitarbeiter verschiedentlich an. Der C300 ist wohl nicht das Ende der Fahnenstange, aber die Entscheidung für den Camcorder in der gewählten Variante, er fiel wohl aus verschiedenen Gründen: Es ist ganz zweifellos leichter, mit einem Gerät für 16.000 Euro in den Markt zu gehen, Feedback zu zu sammeln und es dann weiter zu entwickeln, als gleich mit der Maximalvariante zu kommen. Außerdem ist Canon ein Großkonzern, der letztlich bei all seinen Produkten ordentliche Stückzahlen generieren muss, wenn sich die Entwicklung lohnen soll.

Fujio Mitarai, der President und CEO von Canon, präsentiert den EOS C300, Martin Scorsese begrüßt die neuen Möglichkeiten für Filmemacher und heißt Canon als Kamerahersteller in Hollywood willkommen.

Das Pfund, mit dem Canon bei Cinema-EOS schon jetzt wuchern kann, liegt zum einen in den zahlreichen Objektiven der EF-Baureihe, die sich am C300 verwenden lassen — inklusive der neuen Cinema-Zooms und -Primes, die für 4K optimiert seien, wie Canon wissen lässt. Außerdem hat es natürlich Vorteile, wenn Objektive, Sensoren und Bildverarbeitung aus einer Hand kommen. So wird die C300 etwa automatisch erkennen, welches EF-Objektiv jeweils montiert ist und kann entsprechende Korrekturen aufrufen, etwa was Vignettierung oder Lichtabfall in den Ecken betrifft, die zwar bei der Standbildfotografie nicht stören, aber beim Filmen schon, wenn Fahrten und Schwenks realisiert werden.

Und für Kameraleute, die nicht mit EF-Objektiven arbeiten möchten, bietet Canon die C300 PL an, die den anderen Objektiv-Mount schon im Namen trägt. Bis auf den Mount soll die Kamera in beiden Versionen identisch sein.

Technik: Sensor und Bildprozessor

Zentrales Element der C300 ist der neue Sensor. Dieser CMOS-Sensor ist deutlich kleiner als der in der 5D Mk II und der angekündigten 1D-X, aber er hat die im szenischen Filmbereich beliebten S35-Abmessungen (aktiv genutzter Sensorbereich 24,4 x 13,5 mm). Der Sensor weist 3.840 x 2.160 Bildpunkte auf, von denen jeder 6,4 x 6,4 µm misst und mit einer eigenen Mikrolinse versehen ist.

Durch die vergleichsweise üppige Größe der einzelnen lichtempfindlichen Elemente und die darüber platzierte Linse, erreicht Canon eine hohe Lichtempfindlichkeit. Die ersten Anwender nennen als Grundempfindlichkeit der Kamera ungefähr 850 ASA. Die Kamera lässt sich elektronisch auf bis zu 20.000 ASA pushen, die dann entstehenden Artefakte lässt Canon wie Filmkorn aussehen, was den ersten Anwendern sehr zusagte. Weil neue Technologien schon auf dem Chip für deutlich geringeres Grundrauschen sorgen, treten die Rauschartefakte aber erst sehr spät auf, erklärt der Hersteller — und auch die ersten Anwender bestätigten das.

Der Sensor wird so ausgelesen, dass laut Hersteller keine De-Bayering-Algorithmen nötig sind. Das Grundprinzip sieht so aus, dass sozusagen aus den aktiv genutzen 8,3 Millionen Pixeln vier Auszüge in jeweils voller Auflösung von 1.080 x 1.920 ausgelesen werden: zwei separate Grünauszüge, ein roter und ein blauer. Die beiden Grünauszüge werden miteinander verrechnet/kombiniert und so wird dann ein RGB-Signal generiert, das in jedem Kanal runde 2 Millionen Pixel umfasst. Diese Operationen finden in einem neu entwickelten RGB-Bildprozessor statt, dem Digic DV III.

Unter Einsatz dieses Prozessors realisiert Canon auch die integrierte Log-Gamma-Funktion: Damit kann ein hoher Kontrastumfang (800 %) aufgezeichnet werden, bei dem die Spitzen und Schwärzen erhalten bleiben und besser durchgezeichnet werden. Dadurch bleibt in der Postproduction mehr Spielraum für das Color Grading, so Canon.

Das zur Bilderzeugung genutzte Verfahren hat unter anderem den Vorteil, dass beim Herunterrechnen auf HD-Auflösungen keine Moiré-Effekte entstehen. Die anfangs doppelte Auflösung im Grünbereich wirkt sich laut Canon im Schärfeeindruck und in der exakteren und feiner abgestuften Helligkeitswiedergabe innerhalb des Bildes aus, unter anderem verspricht der Hersteller deutliche Vorteile in der Postproduction von Greenscreen-Aufnahmen.

Canon hat nach eigenen Angaben zudem einen wesentlich schnelleren Sensor-Readout realisiert, so dass schon ganz am Anfang der Bilderzeugung Rolling-Shutter-Effekte drastisch minimiert werden sollen.

Technik: Body

Die C300 ist modular aufgebaut: Der nackte Body misst 133 x 179 x 171 mm, wiegt rund 1,5 kg und kann mit einer Monitoreinheit, einem Henkel und einem seitlichen Griff für den jeweiligen Einsatzzweck angepasst werden. Die Monitoreinheit bringt einen Klappschirm, ein zusätzliches Tastenfeld und XLR-Buchsen mit und kann auf verschiedene Weise montiert werden.

Interessant: Die Monitoreinheit ist ebenso wie der eigentliche Body staub- und spritzwassergeschützt. Im Inneren des Bodys gibt es einen kaminartigen, gegenüber dem Innenleben der Kamera abgeschotteten Schacht, in dem ein kleiner Ventilator sitzt. So kann Wärme abgeführt werden, ohne dass Wasser und Staub ins Innenleben der Kamera eindringen könnten. Nach dem gleichen Grundprinzip funktioniert übrigens auch das Thermo-Management von Arris Alexa.

Vier separate Start/Stopp-Knöpfe und 15 weitere, belegbare Tasten hat Canon dem Camcorder spendiert, was während des Drehs im Normalfall die Bedienung ohne Umwege über Einstellmenüs erlauben sollte.

Drei ND-Filter, die 2, 4 und 6 Blendenstufen entsprechen, sind eingebaut.

Fujio Mitarai, der President und CEO von Canon, präsentiert den EOS C300, Martin Scorsese begrüßt die neuen Möglichkeiten für Filmemacher und heißt Canon als Kamerahersteller in Hollywood willkommen.
Fujio Mitarai, der President und CEO von Canon, präsentiert den EOS C300, Martin Scorsese begrüßt die neuen Möglichkeiten für Filmemacher und heißt Canon als Kamerahersteller in Hollywood willkommen.
Technik: Aufzeichnung

Wie etliche andere, aktuelle Camcorder, ist auch der C300 so konzipiert, dass er intern komprimierte Daten auf Speicherkarten aufzeichnen kann, aber ein unkomprimiertes Signal zur externen Aufzeichnung bereitstellt. Anders aber als etwa Panasonics AG-AF101 (Test) und Sonys NEX-FS100 (Test) nutzt Canon nicht das AVCHD-Format mit seinen Limitierungen auf 4:2:0-Farbsampling, 8-Bit-Quantisierung und einer maximale Datenrate von 24 oder 28 Mbps, sondern setzt auf auf den von den XF-Camcordern (Tests: XF100, XF305) dieses Herstellers schon bekannten XF-Codec.

Der XF-Codec basiert auf MPEG-2 und erlaubt es, Signale mit 50 Mbps in 4:2:2 und voller HD-Auflösung zu speichern, wobei MXF als Container benutzt wird. Die MXF-Implementierung gleicht der von Sonys XDCAM HD, die Dateien können daher prinzipiell von jedem XDCAM-HD-kompatiblen System erkannt werden. Die Metadaten und Verzeichnisstrukturen unterscheiden sich jedoch von XDCAM HD. Die Bedeutung der Kompatibilität in diesem Bereich ist Canon aber offenbar bewusst und so waren im Rahmen der C300-Präsentation auch schon etliche Hersteller von NLE-Systemen vertreten.

Als Speichermedium setzt Canon im C300 CF-Karten ein. Dabei können die Karten, die in den beiden Slots des Geräts stecken, sequentiell nacheinander bespielt werden, aber auch parallel — um sozusagen immer gleich eine Sicherheitskopie zu erzeugen.

Der Camcorder kann über die HD-SDI-Buchse ein unkomprimiertes HD-Signal abgeben (4:2:2, YCrCb, 1080i50/60 oder 720p50/60). Welcher Signaltyp über den ebenfalls eingebauten HDMI-Port abgegeben wird, ist den derzeit vorliegenden Unterlagen noch nicht zu entnehmen.

Vorläufiges Fazit

Ob die C300 tatsächlich ein großer Wurf ist, muss sich erst noch zeigen. Ein Indikator dafür wird die Bildqualität sein, die man unter normalen Umständen mit einem Seriengerät erreichen kann. Ein anderer die Bedienung des Geräts im Praxiseinsatz. Wirklich entscheiden, ob der Markt auf die C300 gewartet und Canon die Erwartungen getroffen hat, werden die Anwender: Die haben Canon schließlich auch erst dazu gebracht, auf Basis der Erfahrungen mit der DSLR-Filmerei, nun eine besser für die Filmproduktion geeignete Kamera zu bauen.

Beim anvisierten Nettopreis von rund 16.000 Euro liegt Canons C300 über den Listenpreisen von Sonys PMW-F3, Red Scarlet-X, Sony NEX-FS100 und Panasonic AG-AF101. Diese Camcorder werden im Feld der Single-Large-Sensor-Kameras, die das filmische Arbeiten mit geringer Schärfentiefe erlauben, aber die Hauptkonkurrenten der C300 sein — und für den im Vergleich zu diesen Camcordern höheren Preis wird die C300 auch mehr bieten müssen.

Aus Art und Ort der Ankündigung der C300 hätte man von Canon zunächst eher einen Konkurrenten für Red Epic, Arri Alexa oder Sony F65 erwartet. Für den ersten Sproß der Cinema-EOS-Familie scheint diese Klasse allerdings noch zu hoch gegriffen. Aber vielleicht lernt die Branche ja schon bald die Geschwister der C300 kennen — und damit ist nicht die schon avisierte Cinema-EOS-DSLR gemeint. Doch bis es soweit ist, werden auch die Entwicklungsabteilungen der anderen Hersteller nicht schlafen.

Fujio Mitarai, der President und CEO von Canon, präsentiert den EOS C300, Martin Scorsese begrüßt die neuen Möglichkeiten für Filmemacher und heißt Canon als Kamerahersteller in Hollywood willkommen.
Fujio Mitarai, der President und CEO von Canon, präsentiert den EOS C300, Martin Scorsese begrüßt die neuen Möglichkeiten für Filmemacher und heißt Canon als Kamerahersteller in Hollywood willkommen.
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